ZEITREISEFILM: USA, 2004
Regie: Shane Carruth
Darsteller: Shane Carruth, Dave Sullivan
Zwei junge Ingenieure bauen - eher: entdecken - eine Box. Diese Box kann Dinge, die wissenschaftlich nicht möglich sind. Einer der beiden Männer findet bald heraus, dass man die Eigenschaften dieser Box manipulieren, ja, sogar an sich selbst anwenden kann. Er benutzt die Box und erzählt seinem Freund einen Tag zuvor, was er mit dieser Box gemacht hat bzw. was er heute mit dieser Box machen wird. Soweit dazu.
PRIMER beschäftigt mich bereits seit Jahren. Zunächst: Zeitreisen. Mein Lieblingsthema in Filmen, seitdem ich als Kind "Zurück in die Zukunft" gesehen habe. Des Weiteren: ein verheißungsvolles letztes Panel in dem ohnehin großartigen Webcomic xkcd. Überhaupt: die Reputation, einer der verwirrendsten Filme der letzten Jahre zu sein - Lynch mal ausgeschlossen. Endlich habe ich es geschafft PRIMER zu schauen und ja, er hat nicht enttäuscht und nein, so verwirrend ist er nun auch nicht, aber doch, eigentlich. Moment. Alles der Reihe nach:
Zuviel vom Inhalt PRIMERs zu verraten, wäre unfair und auch unsinnig. Dieser erklärt sich im Grunde eh von selbst, im wahrsten Sinne des Wortes: Recht bald besprechen unsere beiden Hauptfiguren das Phänomen ihrer Box und bemerken, dass Gegenstände in dieser zeitlich gesehen von A zu B reisen, aber nie bei B ankommen, sondern immer wieder zu A zurückspringen. Immer und immer wieder, bis sie die Box ausspuckt und die Gegenstände eine Vielzahl an (temporären) Schleifen zurückgelegt haben. Der Film PRIMER ist quasi diese Box, A und B sind Anfang und Ende des Films und unsere Figuren die Gegenstände, die B erst sehr spät erreichen. Das mag geschriebener verwirrender sein, als es dann geschaut wirklich ist.
Letzenendes macht PRIMER nämlich genau das, was alle Zeitreise-Filme machen: Paradoxa aufzählen, bereits Erlebtes missbrauchen, Zukünfte manipulieren. Bald stellt sich die Frage, sowohl für Zuseher als auch Figur, in was für einer Zeitreise wir uns befinden: passiert alles, wie es passieren muss, ändert sich unsere Realität und sind Paradoxa ein Teil davon, oder teilt sie sich und alles was wir erleben, ist ein neues Universum aus neuen Möglichkeiten? Ganz nebenbei wirft PRIMER diese Fragen auf, doch dienen sie zugleich dem Spannungsaufbau dieses Filmes, in dem sonst nicht viel passiert.
Wenn man genau hinhört, weiß man endlich was geschieht. Hinhören aus diesem Grund, weil PRIMER nicht viel zeigt, sondern eher erklärt. Aber auch das nur zu einem gewissen Teil. Irgendwann beginnt der Film zu brechen und wir beobachten eine Schleife, die zu leiern beginnt, ohne zu wissen, wieso. PRIMERs Geschichte wird zu einem Mosaik und die Szenen zu Fragmenten, die Dialoge zu aufgefangenen Fetzen, essentielle Details zu gemurmelten Nebensächlichkeiten und eine wichtige Figur kommt auch nur dann vor, wenn wir wirklich gut aufgepasst haben.
Und ja, so macht PRIMER wirklich keinen Sinn, sondern fühlt sich eher an wie ein Telefonat, dessen Inhalt wir nur als Außenstehender aufnehmen. Das ist insofern ärgerlich, als PRIMER verdammt spannend ist und man trotz allem das Gefühl hat, dass der Film sich nur absichtlich so verwirrend anstellt, um sein Publikum absichtlich so zu verwirren. Mittel zum Zweck und so. Andererseits geht viel von der Atmosphäre und des Reizes auch davon aus, das PRIMER lückenhaft daher kommt. Versteht man zu Beginn des Filmes den Jargon der Figuren nur ansatzweise (zumindest ging es mir so, als naturwissenschaftlicher Laie), sind es am Ende die fehlenden Szenen, die einem das Verständnis rauben. Oder zu rauben glauben.
Sieht man von dem ganzen Entschlüsselungs-Aufbau ab, ist PRIMER ein stets einfach aber durchwegs gut gemachter Film. Den Figuren mangelt es etwas an Anhaltspunkten, so dass ihr Handeln für den Zuseher greifbar gemacht wird und der Plot leidet eindeutig darunter, dass er durch sein letztenendes mosaikartigen Arrangement in den Hintergrund gerückt wird. Die Atmosphäre selbst ist formidabel und schafft es ohne viel suggestiver Beleuchtung, wilden Kameraeinstellungen oder sonstigen filmischen Tricks eine schöne Bildkomposition zu formen, deren Wurzeln gezwungenermaßen in seiner raunchy Grobkorn-Ästhetik liegen. Die Musik von Regisseur und Writer Shane Carruth drängt sich nur selten auf und erinnert stark an Clint Mansell, was nur positiv verstanden werden kann.
Was aber macht PRIMER letztenendes so bemerkenswert? Es ist nicht nur schlicht die Frage der gefährlichen Implikationen, welche die Box mit sich bringt oder das erzählerische Vexierbild (dafür werde ich sicher von irgendwem geschlagen, mit viel Glück bemerkt es niemand), mit dem Carruth experimentiert. Es sind sicherlich auch nicht seine Figuren, denen es etwas an Entfaltung fehlt und ganz sicher nicht ist es der viel zu schnelle Schluss, der zu Mutmaßung anregt, aber es leider auch nur dabei belässt. Nein, PRIMER zieht seine Faszination aus seiner Einfachheit (!) mit der er an seine Geschichte ran geht - ja, ich weiß, das negiert jetzt die letzten Absätze, aber trotz, nein, gerade wegen seiner hohen Dichte an Missing Pieces funktioniert der Film auf einer recht simplen Ebene.
PRIMER geht nämlich entspannt unaufgeregt mit seiner Thematik um, benutzt sein wesentliches Plotelement nicht um Hitler zu töten, sondern lässt seine Figuren so agieren, wie es in Rahmen unserer Vorstellung auch authentisch ist. Alles wird angeschnitten, doch nicht alles muss ausprobiert werden. Alles hat Konsequenzen, doch nicht alle Konsequenzen sind für uns sichtbar und wenn, werden sie uns nicht erklärt. PRIMER ist deswegen ein so gut gemachtes Geheimnis, weil er schlicht bleibt. Je näher wir uns an Punkt B bewegen, umso hektischer verläuft der Film auch, aber umso größer wird auch das "vielleicht" und umso beruhigender ist es. Von einer großen Konsequenz wird ruhig weggeblendet, doch das stört schon lange nicht mehr. Viel spannender war ohnehin nur die Implikation eines Problems, einige Szenen davor: als plötzlich das Handy eines der Hauptfiguren läutet, schlug ich erschrocken die Hand vor den Mund. Die Symmetrie wurde durchbrochen. Hat es Auswirkungen? Wer weiß.
PRIMER ist absichtlich verwirrend, unzureichend fertig erzählt und schlicht. Und das macht ihn so gut. Eine klare Empfehlung, so etwas gibt es nicht jeden Tag.