OT: Backyard / El Traspatio
DRAMA: MEXICO, 2009
Regie: Carlos Carrera
Darsteller: Ana de la Reguera, JoaquÃn Cosio, Alejandro Calva, Jimmy Smits
Blanca Bravo ist der neue Captain bei der Polizei in Ciudad Juarez, einer der gefährlichsten Städte der Welt, wo täglich durchschnittlich sieben Menschen ermordet werden, teils in der Form von Drogenkriminalität, teils in der Form des Femizids. Natürlich ist das unmöglich, denn man jagt hier nicht einfach einen Mörder. Man muss im Grunde ein verkrustetes System aus Sexismus, Gewalt und Korruption bekämpfen ...
KRITIK:Es ist schon erstaunlich. Ciudad Juarez, diese mexikanische Metropole an der amerikanischen Grenze ist so etwas wie ein Ort der Hoffnung. Aus ganz Lateinamerika strömen Menschen dorthin, auf der Suche nach Arbeit und mit dem heimlichen Wunsch, den Sprung in die Vereinigten Staaten zu schaffen.
Diese Stadt ist eine Art Portal, wo verschiedene parallele Welten zusammentreffen. Und die Bewohner stehen mit einem Fuß in der Hölle und mit dem anderen im Himmel. Denn auf der einen Seite gibt es dort Arbeitsplätze en masse. Unternehmen aus aller Welt siedeln sich dort an, um billig produzieren zu können, und die unzähligen Frauen armer Herkunft freuen sich auch noch darüber, einen Hungerlohn zu kassieren und das Wochenende über frei zu haben, denn dort wo sie herkommen, hatten sie gar nichts.
Hier ist so etwas wie Emanzipation möglich, ein selbstbestimmtes Leben, eigenes Geld. Aber auch ein Leben, wo man auf sich selbst gestellt ist, wo es keinen Schutz gibt, wo man von Männern als Freiwild betrachtet wird und zum Spielball und Objekt eines archaischen Begriffes von Ehre wird.
Ich möchte jetzt aber nicht nur auf die Männer schimpfen, sie haben es auch nicht leicht. In Mexiko kennt jeder Einwohner jemanden, der erschossen wurde. Aber das Besondere an Ciudad Juarez, neben dem Drogenkrieg und der Prostitution, ist nun einmal das Ermorden von Frauen. Es sind so viele, dass man nicht einmal davon ausgehen kann, dass es sich immer um organisiertes Verbrechen handelt. Hier scheint wirklich alles zusammen zu kommen: Häusliche Gewalt, Snuff- Pornografie, die Lust am Töten, Organhandel, Frauenhandel, Langeweile, religiöser Wahn usw ...
Losgegangen sind diese Morde übrigens, als sich die sogenannten Maquiladores, so nennt man die aus aller Welt angesiedelten Betriebe, die meistens Einzelteile zu Fertigwaren für den Export zusammensetzen, dort angesiedelt haben. Mit dem Kapital kam auch das Verbrechen. Wenn es also einen Ort gibt, wo der Kapitalismus in seiner ganzen negativen Blüte zu beobachten ist, dann kann man nur auf diese Stadt deuten, wo Hoffnung und Apokalypse sich die Hände reichen.
Natürlich geistert die Geschichte von Ciudad Juarez durch die Medien, natürlich versuchen Künstler, Schriftsteller und Filmemacher dem Phänomen nahezukommen. 2006 wurde schon einmal Jennifer Lopez an die Grenze geschickt um das Problem in Hollywoodmanier zu lösen, den Film habe ich nicht gesehen, aber die Kritiken sprachen von einem Desaster und wenn man Hollywood und Jennifer Lopez in einem Atemzug mit diesen unglaublich komplexen Sachverhalten hört, dann kann man gleich davon ausgehen, dass das nichts werden kann.
Ein weiterer ehrenhafter Versuch stellt das Romanfragment 2666 des chilenisch-spanischen Schriftstellers Roberto Bolano dar, der mit diesem leider unvollendeten aber dennoch über tausendseitigem Opus Magnum der ganzen Sache schon etwas näher kam. Im zweiten Teil des Buches macht er sich über 250 Seiten lang die Mühe, jeden einzelnen dokumentierten Fall über einen bestimmten Zeitraum wiederzugeben, wobei er ganz bewusst mit den Ermüdungserscheinungen bezüglich der Rezeption durch die Medien und die Ermittler der Frauenmordserie spielt.
Und auch der vorliegende Film beschreibt neben den schier unlösbaren Problemen die Wellenbewegungen bei der Bearbeitung und Beachtung der Frauenmordserie. Was auch immer passiert, sie gehen weiter, was auch probiert wird, man kommt nicht dagegen an. Und so vermindern sich die Ambitionen und die moralische Empörung, irgendwann gehören die Morde zur Stadt wie die Butter aufs Brot. Die Politik pendelt zwischen gezielten Falschmeldungen und Ohnmacht, wechselt einfach immer wieder das zuständige Personal aus, zeichnet die Falschen aus und versetzt die wirklich ambitionierten Ermittler, weil die zu nahe an die Wahrheit herankommen, was wiederum zuviel mit dem Versagen der Politik zu tun hat usw ...
Gefilmt ist das ganze im typischen realistisch-lebhaften Stil des heutigen lateinamerikanischen Kinos. Regisseur Carrera ist dabei anzurechnen, dass er sich keinen Genrekonventionen beugt und den Mut hat diesen Copthriller als Drama zu inszenieren und geschickt die verschiedenen Ebenen der Geschichte und sozialen Schichten der Stadt ineinander verwebt. Dabei ist zwar kein Meisterwerk entstanden, aber immerhin eine ehrliche Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel der mexikanischen Zeitgeschichte.
Soeben bei ATLAS Film auf DVD erschienen.
Paradies der Mörder ist als Film nicht mehr als ein solides Drama, ist aber als Beitrag zum Verständnis unserer heutigen Zeit ein wichtiges Dokument geworden. Irgendwo in der Schnittmenge der heutigen Postmoderne mit einer oder mehrerer anderen großen parallelen geistig-kulturellen Strömungen, die ich jetzt nicht in der Lage bin zu definieren, weil ich mir nicht sicher bin welche es ist, entsteht so etwas wie ein Verschränkung dieser beiden Räume, die vielleicht scharf getrennt gehörten, und schafft so einen Ort wie Ciudad Juarez, wo der so viele Menschen noch Wölfe sind, inmitten einer Herde von Menschen, die schon längst beschlossen haben Schafe zu werden um ein würdiges und friedliches Leben zu führen.