KRIEGSDRAMA: GB, 1975
Regie: Stuart Cooper
Darsteller: Brian Stirner, Davyd Harries, Julie Neesam
Die Geschichte eines jungen Mannes, in Fragmenten erzählt: Tom Beddows erhält den Einberufungsbefehl zur britischen Armee, durchläuft die harte Grundausbildung, lernt ein Mädchen kennen, wird von Todesahnungen geplagt, schreibt einen Abschiedsbrief an seine Eltern und stirbt noch, bevor die alliierten Truppen in der Normandie landen.
Sorry für die fehlende Spoiler-Warnung, aber wer bei einem Film dieser Art mit einem Happy End rechnet, hat wohl noch nie einen Kriegsfilm gesehen.
OVERLORD - der Filmtitel meint den Codename für die Invasion in der Normandie 1944 - wurde in enger Zusammenarbeit mit dem englischen Imperial Art Museum realisiert. Regisseur Stuart Cooper verbrachte nach eigenen Angaben 3000 Stunden in einer dunklen Kammer im Keller des Archivs und wühlte sich durch Kilometer von Zelluloidrollen mit Film-Dokumenten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Cooper musste keine Kriegsgreuel kameragerecht nachstellen, sondern konnte auf authentisches Bildmaterial aus dem Krieg zurückgreifen. Das sorgfältig ausgewählte Archivmaterial macht 30 Prozent der Laufzeit von OVERLORD aus. Um möglichst harmonische Übergänge zu erzielen, wurde die restliche Spielfilmhandlung mit alten Kameralinsen Baujahr 1936 gedreht. Die Illusion ist verblüffend; der Film imitiert den Schwarz-Weiß-Look der Vierziger nahezu perfekt.
Heroische Schlachten und Pyrotechnik satt wie in (Anti-)Kriegsfilmen made in Hollywood bekommt der geneigte Zuseher dabei aber nicht zu Gesicht.
Trotz des authentischen Bildmaterials ist OVERLORD kein "realistischer" Kriegsfilm. Der Krieg steht nicht im Mittelpunkt der Handlung, sondern als allgegenwärtige, unheimliche Bedrohung stets im Hintergrund. Wir haben es mit einem poetischen, um nicht zu sagen metaphysischen Antikriegsfilm zu tun.
Was bedeutet: Der Film handelt vom Verschwinden des Menschen. Von der Auslöschung des Individuums durch eine übermächtige Kriegsmaschinerie. Stanley Kubricks Kameramann John Alcott liefert dazu einprägsame Bilder von beträchtlicher Suggestivkraft: Wie die Soldaten ihre persönlichen Besitztümer im Lagerfeuer verbrennen - "bis auf das Soldbuch und die Bibel" - wie der stürzende Soldat die Arme hochreißt, wie selbst ein erotischer Traum zur Todesfantasie wird - filmischer kann man die absolute Sinnlosigkeit des Krieges wohl nicht in bewegte Bilder fassen.
Erstaunlich, dass das britische Verteidigungsministerium den Film trotz seiner klaren Haltung - Filmzitat gleich zu Beginn: "Ich hasse das verdammte Militär" - nach Kräften unterstützte und sogar den letzten flugfähigen Lancaster-Bomber für Luftaufnahmen bereitstellte. Offenbar hat dort niemand das Drehbuch gelesen.
Obwohl sich ein gewisser Stanley Kubrick für den Film einsetzte (und Jahre später mit FULL METAL JACKET ein zeitgenössisches Quasi-Remake drehte), geriet OVERLORD in Vergessenheit und wurde erst durch die engagierte Arbeit des DVD-Labels BILDSTÖRUNG aus der Versenkung geholt.
Die DVD entstand in Zusammenarbeit mit Regisseur Stuart Cooper und bietet neben Audiokommentar und Interviews sowie 80 Minuten Extras wie immer bei BILDSTÖRUNG ein aufwändiges Booklet mit Essays und ausführlichen Hintergrund-Infos. Bildungsauftrag erfüllt.
Experimenteller, in Vergessenheit geratener Antikriegsfilm, der authentisches Archivmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg mit poetischen Bildern von Stanley Kubricks Kameramann John Alcott in Übereinstimmung bringt. Das engagierte Label BILDSTÖRUNG verhilft dem Film nach 35 Jahren zu einer angemessenen DVD-Veröffentlichung. Wie bei allen Veröffentlichungen des Hauses (außer LA BETE ;-) gilt auch hier: Kaufpflicht für jeden, der sich Filmfreund schimpft.