OT: Bir Zamanlar Anadolu'ua
DRAMA: TR/ BiH, 2011
Regie: Nuri Bilge Ceylan
Darsteller: Muhammet Uzuner, Yilmaz Erdogan, Taner Birsel, Ahmet Mümtaz Taylan
Irgendwo in der unendlichen Nacht Anatoliens schleicht eine Autokolonne über die Pisten. Ein paar Polizisten, ein Staatsanwalt, ein Arzt und ein vermeintlicher Mörder. Auf der Suche nach der Leiche.
Nuri Bilge Ceylan (Uzak, Drei Affen) ist zurück. Der Michael Haneke der Türkei ist berühmt für poetisch-kopflastige und vor allem schwer zugängliche Filme, Studien über Befindlichkeit und Zustand der türkischen Gesellschaft und ihrer Mitglieder.
Diesmal scheint es gar, er gehe einen Schritt auf das Publikum zu, indem er, wie schon der Titel vermuten lässt, natürlich eine Anspielung auf Sergio Leones Once upon a Time in the West, seine Handlung in ein Genrekorsett einknüpft, irgendwo zwischen Krimi, Western und Roadmovie.
Die Wahrheit könnte nicht weiter davon entfernt sein, und doch existiert in diesem Film gerade deswegen eine sehr starke Grundspannung, vergleichbar mit dem Film Stalker von Tarkovsky, der trotz endloser philosophischer Monologe und Dialoge sein vermeintliches Science-Fiction-Katastrophenfilm-Setting dazu benutzt, um das Gefühl von permanenter Bedrohung zu suggerieren.
So sehen Nägelbeißer aus, in denen im Grunde nichts passiert, weil hier die Spannung durch das Ungezeigte, das gekonnt heraufbeschworen wird, ohne jemals einzutreffen, auf die Spitze getrieben wird. So schleichen die Protagonisten auf ihrer Odyssee durch die Dunkelheit und wollen ihrem Ziel scheinbar nicht näher kommen. Jeder hadert mit seinen banalen Problemen, jeder ist in seiner Haut gefangen, jeder hat seine gescheiterte Liebesbeziehung.
Frauen kommen in dem Film überhaupt nur am Rande vor. Sie scheinen überlegene Wesen zu sein, unerreichbar, sie scheinen der Grund für all die Misere zu sein, der Grund für das Fehlen des Lichtes an diesem vergessenen Ort. Die Männer scheinen nicht gut genug zu sein für sie, sie scheinen sich mit Minderwertigkeitskomplexen herumzuschlagen. Die meisten werden passiv und fatalistisch, in den anderen brodelt es.
Anatolien scheint in einen endlosen Schatten getaucht zu sein, die Nacht, die mehr als den halben Film andauert, was bei einer Laufzeit von 157 Minuten eine Unendlichkeit zu sein scheint, legt sich über die letzten Atemzüge dieser Region, die als Zwischenreich zur ewigen Dunkelheit portraitiert wird. Jeder, der kann wandert in die großen Städte ab, oder gleich ins Ausland. Überall finden sich Zeichen längst vergangener Zeiten und Kulturen, aber die Polizisten pinkeln drauf. Die Städte und Orte sterben aus. Die Lebensenergie scheint längst gewichen zu sein.
Der im Film vorkommende Bürgermeister eines kleinen Dorfes, das mit Elektrizitätsproblemen kämpft, hat offenbar nur eines auf seiner Agenda, ein schönes Leichenhaus zu bauen. Hier wird nicht mehr für die Zukunft investiert, sondern nur mehr darauf geachtet, es halbwegs ordentlich hinter sich zu bringen.
Bei soviel Melancholie darf man ruhig Rilke zitieren: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben. Dem Regisseur, der selbst in einer Kleinstadt aufgewachsen ist, und sich den Menschen, die er portraitiert, sehr nahe fühlt, gelingt dabei das faszinierende Kunststück, die Trostlosigkeit und Banalität des Daseins mit Galgenhumor und viel Herzenswärme zu mischen. Sein Film ist ein Gesellschaftsportrait, eine Meditation über den Tod, ein existentialistisches Manifest, getaucht in düstere Stimmungen voll karger Hügel und melancholischer Gesichter, getaucht in ein vermeintliches Genregewand um das Publikum zu verführen. Starkes Kino!
In diesem Sinne: "Sollen wir so Mitglied in der Europäischen Union werden?"
Once upon a Time in Anatolia ist ein wahres Highlight, eine spannende, poetische Reise voller Tiefgang, ein Portrait eines sterbenden Ortes und seiner Menschen, die unerbittlich von der Zeit hinweggerafft werden. Unglaublich starker Film, der lange nachwirkt!