OT: Locke
DRAMA: GB, 2013
Regie: Steven Knight
Darsteller: Tom Hardy
Bevor Ivan Locke in seinen BMW stieg, hatte er einen sicheren Job und eine Familie. Jetzt rast er über die Autobahn von Birmingham nach London, bereit alles zurück zu lassen, begleitet nur von den panischen Telefonstimmen seiner Arbeitskollegen und seiner Frau, die die Welt nicht mehr verstehen. Was ist passiert? Hat Ivan seinen Verstand verloren?
Fußball ist super. Man hat praktisch den ganzen Kinosaal für sich allein. Und doch es gibt kein Entkommen. Ein Fußballspiel spielt nämlich auch in NO TURNING BACK eine bedeutende Rolle. Es ist nämlich so: Ivan Locke (eindringlichst: Tom Hardy) sollte längst zu Hause bei seiner Familie sein, die sich aufs gemeinsame Fußball schauen freut. Das Bier ist kaltgestellt, die Frau hat Würstchen gemacht und sogar das Mannschafts-Trikot angezogen.
Doch Ivan kommt nicht. Es gibt einen triftigen Grund, warum Ivan heute Nacht von Birmingham nach London rast, und seine Arbeit und seine Familie alleine zurück lässt. Und dieser Grund wird nicht gespoilert - auch wenn er in der ca. 15. Filmminute vor dem staunenden Zuseher ausgebreitet wird.
Mit seinen Drehbüchern zu David Cronenbergs EASTERN PROMISES und Stephen Frears DIRTY PRETTY THINGS hat sich Regisseur Steven Knight als Fachmann für ungewöhnliche, spannende Thriller einen Namen gemacht. Und, ja, LOCKE, wie der Film im Original heißt, ist wirklich verdammt spannend. Reduce to the Max lautete einmal ein Werbespruch für eine Consumer-Elektronikfirma. Dieses Motto könnte auch in fetten Versalien als Tagline unter diesem Film stehen. Selten einen derart aufs Nötigste reduzierten Hochspannungsfilm gesehen.
Allein, es ist kein Thriller. Niemand wird ermordet, keine Verschwörung ist im Gange, niemand wird bedroht, kein Verbrechen, keine Toten, ja, nicht mal einer dieser finalen Plot-Twists (die ohnedies nur noch nerven). Und trotzdem beißt man sich vor Spannung beinahe die Nägel ab.
Ein Ein-Personen-Kammerspiel, das zur Gänze in einem Auto spielt. Man muss schon weit in der Filmgeschichte zurückgehen, um Vergleichbares zu finden. Das existentialistische Bleifußkino der Seventies (VANISHING POINT und Konsorten) lässt schön grüßen - allerdings ohne die stockdüstere, grundpessimistische Weltsicht, die die Filme jener Ära einerseits so großartig und andererseits so niederschmetternd macht.
In dieser Hinsicht ist LOCKE kein VANISHING POINT und schon gar kein TAXI DRIVER - auch wenn die kunstvoll verwischten, überblendeten Nachtaufnahmen des fahrenden Autos genau diese Assoziation wecken. Wie gesagt: Hier wird nichts gespoilert. Außer vielleicht, dass der Film eben nicht den direkten Weg in Richtung Sad End nimmt. Man verlässt den Kinosaal in einer seltsamen Mischung aus Melancholie, Euphorie und vor allem Erschöpfung aufgrund der 90-Minuten-Nonstop-Hochspannung.
Ein Mann und ein Auto. Mehr braucht Regisseur Steven Knight nicht, um einen Kinosaal in Hochspannung zu versetzen. Ein verdammt intensiver Nightride.
OV oder OmU ist Pflicht.
In diesem Sinne: "I have made a decision!"