MUSICAL: USA, 2010
Regie: Rob Marshall
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Judi Dench und eigentlich alle ;-)
Der italienische Meisterregisseur Guido Contini (Daniel Day-Lewis) steht vor gewaltigen Problemen. Eigentlich ist er gerade dabei mit der Arbeit an seinen neunten Film zu beginnen, aber da er zu sehr damit beschäftigt ist, sich selbst zu inszenieren, sein Image zu füttern und jede schöne Frau anzubraten gibt es statt Drehbuch, Plan, Vertrauen und funktionierender Ehe nur ein Kartenhaus, das jeder Atemhauch zusammenstürzen lassen könnte.
KRITIK:Musicals gehören sicher nicht zu meinen bevorzugten Zeitvertreiben, und Regisseur Rob Marshall hat sowieso noch nie etwas wirklich Großes zusammengebracht, denn außer gutem Aussehen haben seine Film nichts zu bieten (Ich bange jetzt schon um Pirates of the Caribbean 4). Vor allem "Chicago" war eine sowas von gelackte und blutleere Frechheit, dass es dafür den Oscar gegeben hat die reinste Farce, aber bitte: wem's gefällt. An manchen Tagen finde ich dieses auf billigste Weise meine Gefühle manipulierende Gedudel unerträglich, an anderen Tagen wünsche ich mir genau das. "Moulin Rouge" und "Mamma Mia" mochte ich, "Across the Universe" habe ich leider nicht gesehen und die Disneyfilme liebe ich sowieso.
Dennoch war Nine sicher das erste Musical in meinem Leben, das ich unbedingt sehen wollte, aber sicher nicht wegen der Musik.
Nine ist die aus 1982 stammende Musicalversion des Jahrhundertfilms 8 1/2, einem der Schlüsselwerke der Moderne und ihres Scheiterns, ein Gipfel des Mediums und seines Regisseurs Federico Fellini, der in diesem Film seine persönliche Lebenskrise und die seines ganzen Landes verarbeitet hat. Nun ja, das Land hat er nicht geheilt, denn Berlusconi benimmt sich wie Guido, macht einfach was er will, nimmt sich jede Frau, die er will, lebt seine Fantasien aus, Guido dafür auf der Leinwand zu bewundern mag nachvollziehbar sein, dass die Italiener ihren Präsidenten dafür bewundern, dass er sich mit Minderjährigen vergnügt und Schönheitsköniginnen in den Staatsdienst holt schon weniger. Die Berlusconsierung des Landes Italien ist nichts weniger als fellinesk, wobei sich die Frage natürlich stellt, wer in dieser paradoxen Situation begonnen hat, das schamlose Ausleben der eigenen Triebe zur Staatsaffaire zur machen.
Vielleicht ist Italien dadurch das modernste Land, vielleicht ist es aber, gemessen an der Bürokratisierung, die ja eigentlich der Willkür vorbeugen sollte, gleichzeitig das rückschrittlichste. Das mag jetzt der rein politische Blick auf 8 1/2 und Fellini sein, es geht aber um noch viel mehr. Es geht um Kreativität und Schöpfung, um Frauen (mehrheitlich als Objekte), es geht um die großen Fragen des Lebens. All diese Aspekte werden in 8 1/2 meisterlich reflektiert und assoziativ verschränkt, wodurch der Film natürlich mehr einem Traum als einer Erzählung gleicht.
Wie soll man dieses Werk für ein größeres Publikum aufbereiten, es ist sozusagen unverfilmbar. Wie also? Aber natürlich, als Musical. Natürlich, weil dies die einzige Möglichkeit ist, Aspekte, die zu abstrakt sind, als dass man sie in simple Handlung verpacken könnte auf ihrer Ebene zu lassen. Die Gefühle, Gedanken, Erinnerungen einer Person kurz und simpel zusammenfassen, das macht man am besten mit einem Song.
Gute Idee eigentlich, meine Neugierde war soweit geweckt. Und außerdem, hat sich schon einmal jemand diese Besetzung angesehen? Daniel Day-Lewis als der Hahn im Korb, im Stall stehen MARION COTILLARD, PENELOPE CRUZ, NICOLE KIDMAN, FERGIE, KATE HUDSON, SOPHIE LOREN und JUDI DENCH. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was soll da noch schiefgehen?
Naja, 6 von 10 auf der IMDB, 37% auf Rotten Tomatoes und sonst auch schlechte Kritiken soweit das Auge reicht. Na gut, Pech gehabt, im Kino ignoriert und die Erwartungen runtergeschraubt. Ein Kritiker schrieb sogar: "Was auch immer sie an Chicago (möglicherweise) zu unrecht gehasst haben, ist für Nine wahr." Ich hab es ihm geglaubt, ich meine: Rob Marshall. Sagt doch alles, oder?
Trotzdem, jetzt ist der Film in meinem DVD-Player gelandet und weil er so vernichtet wurde, weil so dramatisch gefloppt ist, weil es in der verdammten Videothek ohnehin nichts anderes gab (Alphaville wo bist du?), wollte ich diesen Film einfach mögen, startete ihn und siehe dar ...
Guter Anfang. Italien in den Sechzigern, das Italien, welches Fellini erfunden hat, Kultur und Stil verschmolzen, das goldene Zeitalter des europäischen Films in der Cinecitta, Sportwagen, schöne Frauen und Männer, ein genialisch wie schelmischer Regisseur und seine Krise im schönsten "Dolce Vita". Herrliche Bilder und klug-witzige Dialoge außerdem (Drehbuch von keinem geringeren als Anthony Minghella verfasst). Ja verdammt, ich bin wieder einmal der Einzige, der in einen armen, missverstanden Film dessen Tugenden sehen kann. Denkste! Zehn Minuten lang macht das ganze viel Spaß, aber dann fällt es langsam auf, dass das, was alle sagen, herz-, seelen-, emotionslos und die Lieder sind langweilig, stimmen könnte.
Wir bekommen hier eine abgespulte Nummernrevue geboten, der Dialog (die direkteste Anlehnung an 8 1/2 des ganzen Films) mit der wie immer süßen Cruz ist toll, ihr Lied okay, aber danach geht es einfach bergab. Nächste Frau, nächstes Lied, eigene Frau, nächstes Lied, nächste Frau, nächstes Lied. Aber gerade als ich diesen Film vollkommen abschreiben wollte, hat er angefangen mich zu packen. Ein einzelner Aspekt aus diesem Universum von Möglichkeiten aus Fellinis Werk bleibt hier nicht nur oberflächliche Andeutung und vage Behauptung, sondern wird lebendig. Es ist das komplizierte Verhältnis zwischen Guido, seiner Frau (dargestellt von Marion Cotillard) und seiner Geliebten (dargestellt von Penelope Cruz), was vor allem an den beiden Damen und ihren Schauspielkünsten liegt.
Die beiden schaffen es ihre verletzten weiblichen Seelen mit einer derartigen Wucht auf diese Postkartenbilder zu zaubern, dass einem Hören und Sehen vergeht. Aus dieser gelackten Nummernrevue wird auf einmal in seinem letzten Drittel ein durchaus mitreißendes Drama, der Schmerz, den Guidos arglos-egoistisches Leben auf seine Nächsten ausübt kann man im Gesicht, in der Stimme in den Gesten der beiden Darstellerinnen spüren, so stark, dass man sie am eigenen Leib erfährt.
Außerdem kriegt die Cotillard dann auch noch das einzig brauchbare Lied mit der einzigen dynamisch-mitreißenden Choreografie, die dieser "Musicalfilm" zu bieten hat. Ich weiß gar nicht ob Rob Marshall das verdient hat, aber dieses emotionale Dreieck rettet seinen Film, wertet seine restlichen Stärken (welche vor allem in seiner Starbesetzung und seinen perfekten Bildern liegen) auf, während es seine Schwächen (die Blutleere, die fehlende Wärme, die Oberflächlichkeit) vergessen macht. Und genau durch diese Emotionen gewinnt auch Guidos Figur letztlich noch ein bisschen an Konturen und erlaubt ihr ein schönes, sogar leises und bescheidenes Ende, worin sich eine feine Ironie verbirgt, da Fellinis Film damals sozusagen mit einer lauten musicalartigen Einlage geendet hat.
Nine ist ein durchaus ambitioniertes, aber letztlich gescheitertes "Arthaus"-Musical, das ein ziemlich direkter Versuch ist Fellinis 8 1/2 zu remaken und dessen für breite Seherschichten zu abstrakte und abgehobene Wucherungen in Form von Songs zu bändigen. Ganz wie es Regisseur Rob Marshalls Markenzeichen ist bekommen wir perfekt durchgestylte Bilder und lebloses Drama, mit dem Unterschied, dass er die unbändige schauspielerische Kraft von zwei von sieben seiner versammelten Diven (Cruz und Cotillard) nicht zu zerstören vermochte und ihnen daher zu verdanken hat, dass Nine doch seine Stärken hat, als Drama um zwei verletzte Frauen, die es nicht schaffen sich von ihren egoistischen Geliebten zu trennen. Das, die klug-witzigen Dialoge ebenso wie das italienische Dolce Vita machen Nine zu einem ordentlichen "Guilty Pleasure", zwar nicht für herkömmliche Musical-Fans (dafür rockt die Musik einfach nicht genug), wohl aber für Fellini und wahrscheinlich auch für Woody Allen Fans, und solche, die es einmal werden wollen. Passt durchaus.