OT: Les Cauchemars naissent la nuit
HYPNOTIC CINEMA: Liechtenstein, 1970
Regie: Jess Franco
Darsteller: Diana Lorys, Colette Giacobine, Paul Muller, Soledad Miranda
Der Versuch einer Inhaltsangabe: Eine Frau wacht mit blutigen Händen aus ihrem Alptraum auf. Ein Arzt versucht, sie zu beruhigen. Er spricht sie als Prinzessin von Istrien an. Vielleicht ist sie eine. Sie war oder ist eine Stripperin in einem Nachtclub in Zagreb und hat dort eine andere Frau kennengelernt. Sie wird ihr hörig und lebt seitdem mit ihr in einen Palast zusammen. Langsam verliert sie die Kontrolle über ihren Verstand. Von einem Haus nebenan beobachtet ein Pärchen das Treiben und hat möglicherweise den Schlüssel zu dem Rätsel...
Mir fehlen die Worte.
Wie könnte man dieses vibrierende, somnambule Nichts auch nur ansatzweise erfassen? Jess Franco zelebriert einen bizarren, halluzinierenden Traum von einem Film. Oder das, was man für gewöhnlich Film nennt. Denn natürlich ist Franco niemand, der sich besonders um die Regeln der Filmästhetik bemüht, wie man sie auf Filmschulen lernt. Sagen wir mit seinen Worten, sie gehen ihm am Arsch vorbei.
Seine Filme sind exzentrische, delierende Visualisierungen der eigenen Obsessionen, bei denen die Grenze zwischen Realität und Fantasie regelmäßig verwischt. Bei NIGHTMARES COME AT NIGHT geht Franco aber noch einen Schritt weiter als sonst. Mit diesem Film führt er das erzählende Kino komplett ad absurdum. Die Handlung ist bestenfalls eine Klammer, die zu Beginn und zum Ende den Zuschauer in den Film ein- und wieder ausführt. Das narrative Element ist auf zehn Minuten komprimiert und wenn überhaupt nur zum Ende des Films als solches zu erkennen.
Alles ist andere ist eine Aneinanderreihung von flirrenden Dämmerzuständen. Minimalistisches Kino. Pure Magie.
Seine nicht enden wollenden, halbpoetischen, halberotischen Szenen tauchen unter die Wirklichkeit und entwickeln dabei eine hypnotische Sogkraft. Ein Traum in einem Traum. Entweder erliegt man ihnen - oder man wendet sich ermüdend ab und hofft, dass irgendwann irgendetwas passiert. Und sei es nur, dass der Film sein Ende findet.
Aber Franco befreit uns von den Fesseln der Zeit. Er lässt einfach los und filmt intuitiv das, was ihn interessiert, nicht das, was die Geschichte verlangt. Das sind in erster Linie aufregende Frauen, die sich in aufregenden Kleidern, aufregenden Schuhen oder aufregend nackt räkeln. Und es sind die eher assoziativ als einer Logik folgenden Ausrufezeichen wie die Zwischenschnitte auf umherflatternde Papageien. Dazu hypnotisiert Bruno Nicolais Soundtrack - oder besser Klangcollage - und verbindet Bilder, die so und nicht anders nur Jess Franco auf die Netzhaut bannen kann.
Das kann man sicher auch für viele andere Filme von Franco sagen. Aber so konsequent und puristisch durchkomponiert sieht man es selten. Natürlich schreckt der gewöhnliche Zuschauer davor zurück, und so verwundert es auch nicht, dass der Film sehr schnell in Vergessenheit geriet. Erst im Zuge des Soledad-Miranda-Revivals holte man diese Perle wieder ans Tageslicht.
Soledad Miranda hatte allerdings nur eine kleine Nebenrolle und war bei den Dreharbeiten nicht einmal anwesend. Franco schnitt einfach bereits mit ihr gedrehtes Material in seinen Film hinein. Dennoch ist alleine schon ihr Anblick eine Sichtung und den Kauf einer DVD wert. Alle DVDs basieren alle auf dem gleichen Vollbild-Master mit etwas ausgewaschenen Farben. Und die deutsche Fassung erscheint mit über 40-jähriger Verspätung unter dem Titel DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT.
Einerseits ein geradezu minimalistischer, mit simpelsten Mitteln gedrehter, schlafwandelnder Film. Zugleich aber auch ein radikales Statement, wie viel mehr auf der Leinwand möglich ist, wenn man den vorgegeben Rahmen verlässt. NIGHTMARES COME AT NIGHT ist ganz sicher ein Film für Franco-Fortgeschrittene.
"Als ich den vor einigen Monaten per Beam noch einmal sah, hätte ich danach beinahe die Leinwand geküßt." (Christoph, Eskalierende Träume, gepostet im Dirtypictures-Forum)