MINDFUCK: USA, 2017
Regie: Darren Aronofsky
Darsteller: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeifer, Kristen Wiig
Er ist ein prominenter Schriftsteller. Sie ist seine viel jüngere Frau, die die alte Villa renoviert, denn: "Das soll ein Paradies werden". Er leidet an einer Schreibblockade. Sie leidet an Panikattacken und Halluzinationen. Als er einen Fremden ins Haus lässt, und Tags darauf auch noch dessen derangierte Familie vor der Tür steht, verwandelt sich das Paradies langsam, aber sicher in die Hölle ....
Am besten, man geht völlig unvorbereitet in MOTHER! Dann wird man sich noch wundern, was alles möglich ist, um einen österreichischen Möchtegern-Bundespräsidenten zu zitieren. Der Autor dieser Zeilen bemüht mich ja stets nach Kräften, seine Texte so spoilerfrei wie nur möglich zu halten. Bei MOTHER!, so viel darf verraten werden, ist das eine besondere Herausforderung. Deshalb jetzt kein weiteres Wort mehr zur Geschichte.
Nur so viel: Erwartet das Unerwartete. Es wird wild. Es wird laut. Es wird hysterisch und irre.
Zugegeben, Darren Aronofsky hat eine ziemlich gemischte Leistungsbilanz. Der 48-jährige New Yorker, auf dessen Konto Ausnahmewerke wie REQUIEM FOR A DREAM, BLACK SWAN oder auch THE WRESTLER gehen, hatte aber auch die esoterische Arschgranate (tschuldigung) THE FOUNTAIN und das unchristliche Bombast-Desaster NOAH zu verantworten. Und selbst BLACK SWAN, den ich immer noch über alle Maßen großartig finde, ist kein unumstrittener Film. Es gibt Menschen, die BLACK SWAN leidenschaftlich hassen und das ziemlich wortgewaltig-amüsant argumentieren können.
Kurz gesagt: Am Werk Aronofskys scheiden sich die Geister. Und daran wird MOTHER! garantiert nichts ändern. Für eine bestimmte Fraktion von Filmkritikerinnen (das i absichtlich klein geschrieben) ist MOTHER! allein schon deshalb verdammenswert, weil der Film angeblich "traditionelle Geschlechterrollen perpetuiert" (Zitat orf.at). Mehr Argumente braucht es Anno 2017 nicht mehr, um ein Leinwandkunstwerk zur Verabscheuung freizugeben.
Legt man die ideologischen Scheuklappen einmal ab, wird man aber zugeben müssen, dass in diesem Film ein bisschen mehr drinsteckt als nur "traditionelle Geschlechterrollen". Dazu aber später mehr.
MOTHER! beginnt ganz harmlos, als Beziehungsdrama, das aber sehr rasch eine darke, unbehagliche Färbung bekommt: Die knarrenden Dielen, die knallenden Türen, das an den Nerven zerrenden Geschwätz und Geschnatter der ungebetenen Gäste: Bald übertragen sich die Kopfschmerzen der migränegeplagten Jennifer Lawrence auf den Zuseher. Man wünscht sich, man hätte auch ein Brieferl von diesem Brown Sugar-Pulver zur Hand, das sich Jennifer Lawrence alle paar Minuten einwirft.
Erinnerte mich die erste Filmhälfte noch an eine unbehagliche Haunted House-Variante von Thomas Vinterbergs DAS FEST (auch wegen der grobkörnigen, lichtreduzierten, beinahe Dogma-artigen Fotographie), wird es dann etwas - eigenwillig. Nur soviel: Schwangeren würde ich den Besuch von MOTHER! nicht unbedingt empfehlen, ebensowenig wie Menschen mit Filmblut-Allergie. Vor Michelle Pfeifer wird man sich den Rest seines Lebens fürchten. Und mit Kristen Wiig wird man nie wieder lachen können.
Film als reizüberflutende Frontalattacke: Gäbe es einen Oscar für den exzessivsten Film des Jahres geben, stünde der Sieger wohl fest. Bis zum Anschlag vollgepackt mit Metaphern - Beziehungen, Geschlechterkampf, Politik, Flüchtlingskrise, Terror, und natürlich Religion, die der Regisseur als brutal destruktive Kraft zeigt - werden auch die grauen Zellen ordentlich beschäftigt: Wir Anhänger der transgressiven Filmkunst (so nennen wir Filmnerds das wissenschaftlich, wenn's richtig krass zugeht) wissen ja, wie dünn das zivilisatorische Eis ist, auf dem sich die Menschheit bewegt. Wie leicht die latente Bestialität unter unseren notdürftig übergestülpten Alltagsmasken hervorbricht.
Es ist vielleicht sogar legitim, auf solche Leinwand-Exzesse mit Ärger, Unverständnis und Abscheu zu reagieren. Man kann solche Filme aber auch als Aufforderung verstehen, sich menschlich zu verbessern, als Individuum wie als Kollektiv, im Rousseau'schen Sinne. Amen.
Kein Darren Aronofsky-Film ohne Kontroverse. Beziehungsdrama, Horrortrip, Metaphernschlacht. Ein Film, der alle Grenzen sprengt. Man wird sich noch wundern, was alles möglich ist. Lieben oder hassen. Kalt lassen wird MOTHER! garantiert niemanden.