DARK FAIRYTALE: TSCHECHOSLOWAKE, 1972
Regie: Juraj Herz
Darsteller: Iva Janzurová, Petr Cepek, Nina Divisková, Josef Abrhám
Irgendwann Ende des 19.Jahrhundert. Zwei Schwestern. Klára ist schön, begehrt und hat ein gutes Herz. Viktoria ist stets dunkel gekleidet, hasserfüllt und zerfressen vor Neid auf die lebensfrohe Schwester. Von einer Giftmischerin erhält Viktoria ein langsam wirkendes Gift, das erst nach Wochen zum Tod führt. Mit einer tödlichen Phiole im Gepäck macht sich Viktoria auf, um das Schwesterchen zu besuchen ...
KRITIK:Die gute, schöne und die neidische, hässliche Schwester. Der Stoff, aus dem Märchen gemacht werden. Oder dramatische amerikanische Psychothriller wie WAS GESCHAH WIRKLICH MIT BABY JANE? Aber da MORGIANA ein tschechischer Film ist und wir schon seit Kindertagen wissen, dass tschechische Filmemacher begeisterte und vor allem versierte Märchenerzähler sind, verwundert es kaum, dass Juraj Herz Film nach Märchen aussieht.
Im Gegensatz zu den Bonbons aus dem sonntäglichen Kinderprogramm ist MORGIANA allerdings eine eher düstere Mär, die sich an junge und alte Erwachsene richtet. Ein Märchen in der Art von VALERIE - EINE WOCHE VOLLER WUNDER. Und da VALERIE und MORGIANA im Zuge derselben künstlerischen Offensive in den politisch schwierigen Zeiten nach dem Prager Frühling entstanden sind, sind sie ja ohnehin so etwas wie Schwestern.
Wo wir gerade bei Schwestern sind. Die in MORGIANA werden beide von Iva Janzurová gespielt. Und das so brillant schizophren, dass zunächst nicht einmal auffällt, dass die liebreizende Klára und die hexenhaft grausame Viktoria von ein und derselben Darstellerin verkörpert werden. Dagegen merkt man sofort, von wem die Filmmusik stammt. Dabei hören wir Lubos Fiser, der schon für VALERIE märchenhafte Klänge wie den "Magic Yard" komponiert hat, hier von seiner düsteren, fast schon gotischen Seite. Bedrückende, gespenstische Orchesterstücke, die gut und gerne in die frühen Filme der Hammer-Studios gepasst hätten, aber dann doch viel markanter sind.
Wenn es die Szene erfordert, schwenkt Fiser aber auch wieder mühelos in jene musikalisch verspielten Gefilde zurück, für die er berühmt geworden ist. Doch egal ob die Musik nun düster oder hell erklingt; sie untermalt immer einen Bilderrausch. Denn ein solcher ist MORGIANA zuallererst; mit all diesen prächtigen Sets und Kostümen aus vergangenen Zeiten. Meine persönliche Vorliebe für atmosphärische, visuelle Werke bringt es mit sich, dass dieses klischeeverdächtige Wort in meinen Filmvorstellungen häufig fällt, doch selten war diese Beschreibung so zutreffend wie hier.
Bilder wie Gemälde. Der Garten. Ein Wasserfall. Das Pärchen am Fuße des Wasserfalls und über ihnen die dunkel zusammengekauerte Gestalt der Schwester als personifizierter Schatten des Todes.
Regisseur Herz hat seinem Kameramann Jaroslav Kucera völlig freie Hand gelassen und dieser hat es ihm mit Virtuosität gedankt. Exzessive Weitwinkel. Katzenperspektiven. Und später, wenn das Gift in Kláras Organismus immer verheerender zirkuliert, werden die Bilder surreal, halluzinatorisch. Licht, Geräusche, Farben - der langsame Flash zum Tod. Das viel beschworene magische Kino - Hier ist es!
Entstanden nach dem Prager Frühling in der Tschechoslowakei der 70er hatte Juraj Herz Werk den erwartungsgemäß schweren Stand. Die Partei hatte von Herz etwas Romantisches erwartet. Der hatte mit MORGIANA den letzten Film der Neuen Tschechischen Welle geliefert. Einen Horrorfilm, wie die Partei befunden und ihn deswegen zunächst aus dem Verkehr gezogen hat. Subversion war der Partei ein Dorn im Auge.
Zensur hat freilich nichts damit zu tun, dass MORGIANA hierzulande immer noch auf eine Veröffentlichung auf dem Homevideo-Markt wartet. Schade ist es trotzdem. Diejenigen, die ich hoffentlich auf MORGIANA aufmerksam machen konnte, brauchen allerdings nicht verzweifeln oder gar gesetzesbrüchig zu werden, um den Film sehen zu können. Eine offizielle DVD ist in Großbritannien erschienen und schon für relativ kleines Geld zu haben. Der Silberling bietet den tschechischen Originalton mit englischen Untertiteln; die Veröffentlichung ist außerdem mit einem informativen Booklet ausgestattet.
Schwester Lebensfreude und ihre grimmige, Gift mischende Schwester Tod in einem tschechischen Zauberkino a la VALERIE - Dass tschechische Filmemacher begnadete Märchenerzähler sind, wissen wir aus dem sonntäglichen Kinderprogramm. Und MORGIANA ist auch ein Märchen. Allerdings ein dunkles, böses für junge und alte Erwachsene. Musik von Lubos Fiser. Schwelgerische Sets, prächtige Kostüme, gotische Düsternis. Und die von der Kette gelassene Kamera von Jaroslav Kucera, die für einen Bilderrausch sondergleichen sorgt.