DRAMA: A, 1968
Regie: Georg Lhotsky
Darsteller: Erika Pluhar, Heinz Trixner, Louis Ries
In dieser Literaturverfilmung geht es um die beiden "verfeindeten" Freunde Petrik, ein junger, idealistischer Literat, und Mehlmann, ein junger, scheinbar erfolgreicher und übermotivierter Geschäftsmann. Zusammen verbringen das Wochenende auf einem verfallenen Schloss, wo ihre verschiedenen Welten und Lebensrealitäten mit einander und den anderen Schlossbewohnern zusammenprallen.
KRITIK:Wir schreiben das Jahr 1968. Die österreichische Filmwirtschaft liegt in Trümmern, der Heimatfilm hat ausgedient und Romy Schneider ist ausgewandert. Während in Österreich in diesem Jahr gerade einmal sieben Kinofilme produziert werden, erlebt die französische Nouvelle Vague ihren Höhepunkt. Die jungen Filmemacher haben genug vom verkrusteten Studiosystem und seinen Konventionen. Sie gehen mit ihren Kameras auf die Straße, erfinden eine neue Filmsprache, erzählen vom Lebensgefühl ihrer Generation und verwirklichen ihre Filme mit Guerilla-Taktiken.
Da ist es nicht verwunderlich, dass Filmemacher der ganzen Welt von diesen jungen Rebellen fasziniert und inspiriert sind. Regisseur Georg Lhotsky stellt also eine Crew zusammen und verfilmt mit quasi null Budget den Roman "Moos auf den Steinen" des heute schon fast wieder vergessenen österreichischen Schriftstellers Gerhard Fritsch, der in seinem ganzen Leben nur zwei Romane publiziert und 45 jährig während der Arbeit an seinem dritten Roman freiwillig aus dem Leben schied.
Sein Erstling "Moos auf den Steinen" kann als "Versuch der falschen Versöhnung Österreichs mit seiner Geschichte nur scheitern" (Robert Menasse). Trotzdem war der Roman ein großer Erfolg und machte den Autor zu einem der "Großen" im kleinen österreichischen Literaturbetrieb. Fritsch hat übrigens selbst die Konsequenzen gezogen und seinen nächsten Roman zwar ebenfalls mit dem Thema Identitätsfindung des jungen Staates Österreich, aber eben nicht mehr aus Monarchie-Sicht, sondern aus der Sicht des Austrofaschismus, die auch der vorher zitierte Schriftsteller und Intellektuelle Robert Menasse als wahre Identität des österreichischen Volkes sieht.
In beiden Fällen wird der Nationalsozialismus und der Anschluss an Deutschland eher als Unfall interpretiert, wenn auch beide niemals so vermessen wären von der "Opferthese" auszugehen. Und tatsächlich scheint es auch im Film so, als wäre der Nationalsozialismus nur ein kleines Intermezzo in der Selbstfindung des österreichischen Staates nach Zusammenbruch der Monarchie gewesen.
Wie soll man dieses Zwischenspiel verarbeiten, wenn man nicht einmal die Zeit hatte den Zusammenbruch des "tausendjährigen" Reichs zu verarbeiten. Eine berechtigte Frage, und obwohl der Film (und wahrscheinlich auch das Buch) von der Dekonstruktion einer Traumwelt handeln, scheint diese beinahe vollständige Ausklammerung des zweiten Weltkrieges, das Werk ein wenig zu sehr zu versüßlichen.
Das Schloss selbst, seine Bewohner, die Besucher, alle stehen sie symbolisch für Österreich und seine geistigen Strömungen, und klammern dabei völlig die Strömung aus, die ein Vierteljahrhundert später einmal als FPÖ in die Regierung des Staates Österreich einziehen wird.
Dennoch bietet der Film abgesehen von dieser politischen Ignoranz (oder ist es doch eine Art Idealismus?) einen betörend fotografierten Bilderrausch in den Ruinen einer untergegangenen Welt. Dazu swingt der jazzig-verträumte Score von Friedrich Gulda persönlich und schon sind wir wieder mitten drin in unserer Idealisierung der Vergangenheit.
Da ist der alte Graf, der mit der neuen Welt nicht mitkommt, nur "seine Ruh" möchte und einen Roman über einen gallizischen Soldaten aus der Kaiserzeit schreibt, aber ständig von seinem Yuppievorläufer-Schwiegersohn in Spe drangsaliert wird, etwas aus dem Schloss zu machen. Da ist des Grafen Tochter, eine Zerrissene zwischen Gestern und Morgen, die sich durch die verfallenen Räume des Schlosses treiben lässt um sich irgendwie noch zu spüren, sich aber schließlich doch dem perspektivenlosen Präbobo-Literaten vor den Augen ihres Ehemannes in Spe hingibt, und wir sind doch alle auf ihrer Seite, weil auch wir wollen, das alles so bleibt, wie es ist, auch wir das Schloss langsam verwuchern und das Moos auf den Steinen wachsen sehen wollen.
Aber am Ende des in schwarz- weiß gedrehten Films geht auf einmal die Sonne in Farbe auf. Einige Charaktere wissen, dass wir in der Gegenwart ankommen müssen. Die habsburgischen Kostüme vom finalen Maskenball werden der Vogelscheuche auf dem Acker umgehängt, die unter dem Schatten des Überwachungsturmes zur tschechischen Grenze steht. Man hat nicht das Gefühl, beschützt zu werden, die Stacheldrahtzäune scheinen viel eher darauf hinzudeuten, dass wir eingesperrt sind in den Grenzen dieses nun so kleinen Landes.
Ein bisserl "La Dolce Vita", ein bisserl "Der Leopard", ein bisserl Nouvelle Vague, aber doch so ganz und gar österreichisch in seiner Nostalgie und Sentimentalität vor allem der angeblich so "guten alten Monarchie" gegenüber. Sehenswerter Beitrag der STANDARD-Edition des Österreichischen Films.