NEO-NOIR: GB, 1986
Regie: Neil Jordan
Darsteller: Bob Hoskins, Cathy Tyson, Michael Caine, Robbie Coltraine
Nachdem der Kleinganove George (Bob Hoskins) aus dem Gefängnis entlassen wird, will ihn seine Frau nicht mehr haben. So kommt er bei seinem Freund Thomas (Robbie Coltrane) unter, der Autos repariert und skurrile "Kunstwerke" entwirft. Um seine Brötchen zu verdienen, fängt George wieder an für seinen alten Boss Mortell (Michael Caine) zu arbeiten. Ab sofort ist er der Fahrer für das schwarze Luxuscallgirl Simone (Cathy Tyson). Hierbei prallen zwei Welten aufeinander ...
Neil Jordans Film MONA LISA ist einer der großen britischen Neo-Noirs der 80er-Jahre. Heute ist dieses Juwel des britischen Crime-Dramas leider fast schon vergessen. Dabei ist der Film von ähnlich hoher Qualität, wie Jordans verwandter Klassiker THE CRYING GAME. Im Vergleich zu letzterem erscheint MONA LISA von seinem Handlungsverlauf vielleicht ein wenig konventioneller. Doch in Bezug auf seine Charakterzeichnung und Atmosphäre ist MONA LISA einfach einmalig. Dies ist einer der Filme, die man sich auch unbedingt im Originalton ansehen sollte, da ansonsten ein Großteil der Eigenarten der Figuren und der oftmaligen Spitzfindigkeiten der Dialoge verloren ginge.
Im Zentrum des Films steht die sich allmählich entwickelnde Beziehung zwischen George und Simone. George ist ein langsamer Denker, proletenhaft und leicht aufbrausend, jedoch in seinem Kern einfach ein herzensguter Kerl. Simone ist sehr selbstbewusst und emanzipiert und blickt anfangs recht verächtlich auf diesen Working-Class-Guy hinab. Eindeutig gibt sie George zu verstehen, dass es unter ihrem Niveau ist, solch eine unkultivierte Niete als ihren Fahrer erdulden zu müssen. Und tatsächlich tappt George sehr zielbewusst von einem Fettnäpfchen ins andere. Doch von seinem Selbstverständnis her ist er jemand der eindeutig Stil beweist, in dem er z.B. immer wieder Nat King Coles titelgebenden Schmalzsong "Mona Lisa" hört.
Da passt es, dass Georges bester Freund Thomas anscheinend ebenfalls ein liebenswerter, jedoch ein wenig realitätsferner Träumer ist. Dessen mit allerlei Kitschkunst vollgeramschte Autowerkstatt deutet bereits darauf hin, dass MONA LISA bei allem typisch britischen sozialem Realismus zugleich - und mit der Zeit immer stärker - in quasi-surreale Gefilde eintaucht. Dem gesamten Film haftet etwas leicht Traumhaftes an, streckenweise wirkt er fast wie eine britische Version des fünf Jahre zuvor entstandenen französischen "Cinéma du look"- Klassikers DIVA. Allerdings wurde hier der verträumte Postbote durch einen verträumten Kleinkriminellen und die Operndiva durch eine Edelprostituierte ersetzt.
Die von der ansonsten eher unbekannten Cathy Tyson verkörperte Simone gebärdet sich auch nicht nur wie eine echte Diva, sondern ist tatsächlich auf eine geheimnisvolle Weise äußerst charismatisch. Dabei handelt es sich bei dieser Simone keineswegs um eine große klassische Schönheit, sondern viel mehr um eine interessante Frau mit viel Persönlichkeit. Und natürlich verweisen sowohl der Filmtitel MONA LISA, als auch der immer wieder gespielte gleichnamige Song überdeutlich auf Simone als das eigentliche Zentrum des Films und der zunehmenden Verehrung durch George.
Somit wird MONA LISA trotz seiner insgesamt wesentlich stärkeren Bodenhaftung letztlich ähnlich wie Jean-Jacques Beineix´ DIVA zu einem modernen Großstadtmärchen. Und da kein anständiges Märchen ohne einen passenden Bösewicht auskommt, darf dieser auch in MONA LISA selbstverständlich keineswegs fehlen. In dieser Rolle glänzt der wie immer sagenhafte Michael Caine als der ebenso aalglatte wie kaltschnäuzige Gangsterboss Mortell, ein wahres Ekelpaket vor dem Herren.
Georges naiver Traumwelt und Simones falscher Glitzerwelt voller schicker Nobelhotels gegenübergestellt ist auch der Straßenstrich von King´s Cross, wohin George Simone immer wieder fahren soll. Anfangs ist es ihm noch völlig unverständlich, was sie in diesem Elend eigentlich verloren haben. Doch schon bald stellt sich heraus, dass Simone ihre Freundin Cathy sucht, für die sie sich verantwortlich fühlt. In seinem Bestreben sie hierbei zu unterstützen taucht George immer mehr in eine Londoner Unterwelt ein, die zusehends immer stärker einem Höllenschlund gleicht. Doch George durchschaut weder in welche Gefahr er sich begibt, noch was der eigentliche Grund für Simones Suche ist...
Neil Jordans Neo-Noir MONA LISA ist ein modernes Großstadtmärchen im Gewand eines typisch britischen Gangsterfilms, der insbesondere durch seine Charaktere und seine einmalige Atmosphäre besticht, die irgendwo zwischen TAXI DRIVER und DIVA liegt. Der Film ist ein frühes Meisterwerk des irischen Regisseurs, welches den Vergleich mit dem wesentlich bekannteren THE CRYING GAME keineswegs zu scheuen braucht.