GIALLO & FRIENDS: Deutschland, 2011
Regie: Andreas Marschall
Darsteller: Susen Ermich, Magdalena Ritter, Julita Witt, Stefanie Grabner
In den Siebzigern entwickelte der Schauspiellehrer Matteusz Gdula eine neue Lehrmethode. Nur überlebte nicht jeder seiner Schüler den aus psychischer und physischer Folter bestehenden Schauspielunterricht. Nach einem Skandal nahm er sich das Leben und die Methode Gdula wurde verboten. Eine von ihm gegründete Schauspielschule existiert jedoch heute noch. Als die wenig begabte, aber ehrgeizige Stella dort überraschend einen Platz bekommt, muss sie schon bald feststellen, dass an der Schule im Geheimen noch immer nach der bösen Art des Gründers gelehrt wird. Während ein schwarzgekleidetes Phantom mordend durch die Schulkorridore schleicht, lernt Stella die ersten grausamen Lektionen der Methode Gdula...
Lange mussten wir warten, doch nun ist er endlich da: Andreas Marschalls zweiter Film nach dem formidablen TEARS OF KALI, der auch acht Jahre nach seiner Entstehung immer noch eine Bereicherung für das deutsche Indie-Horrorkino darstellt. In MASKS, so heißt der 2011 geborene Nachfolger, huldigt Marschall hemmungslos seinen italienischen Faves, die da heißen Bava, Argento und Martino. Wobei die bevorzugte Blaupause ganz zweifellos SUSPIRIA heißt.
Man merkt es am Plot, am Setting, an der Atmosphäre, an der goblinesken Musik, an den blutigen Morden, an den hexenhaften Dozenten, an dem diffusen Licht und an den lauernden Schatten...- Das finstere Flair einer berüchtigten Freiburger Ballettschule ist allgegenwärtig. Auch wenn das Böse bei MASKS in einer Schule für angehende Schauspieler brütet.
Dort wird "Method acting" nach Psychosekten-Art gelehrt. Auf den Stundenplan stehen physische Mißhandlung und psychische Gewalt. Dieser mehr realitätsbezogene Hintergrund des Bösen stellt einerseits die wohl größte Abkapselung vom in dieser Hinsicht viel märchenhafteren und phantastischeren Vorbild SUSPIRIA dar und schließt andererseits den Kreis zu TEARS OF KALI, Marschalls Erstling. Dort - wir erinnern uns- haben teuflische Gurus und unmenschliche Psycho-Torturen ebenfalls zentrale Punkte in der Handlung eingenommen. In MASKS tun sie das auch. Nur dass diesmal erzwungene Déjà-Vus und liebevoll arrangierte Reminszenzen aus und an hehre Argento- und Bava-Klassiker die Kulisse bilden.
Marschalls Bedürfnis, den großen römischen Meistern zu hommagieren, wird in fast jeder Szene deutlich. Dafür wird MASKS von Fans und Kritikern einerseits geschätzt, andererseits verdammt.
So fühlt man sich herrlich beklommen in dieser suspiriösen, dämonisierten Internatsatmosphäre. Man frohlockt über die ausgesucht blutig zelebrierten Morde, in welchen übrigens der Degen den Platz des (eigentlich) genre-obligatorischen Rasiermessers einnimmt und man begrüßt das offensichtliche Bestreben, scharfe Klingen, schwarzgekleidete Phantome und ästhetisches "Morden" zurück auf die Leinwand zu bringen.
Denn vor allem anderen ist MASKS der deutsche Versuch - nach den belgischen (AMER, GLAM GORE) und den französischen (BLACKARIA, IL GATO DA VISO D'UOMO) - den Giallo wiederzubeleben. Eine Ambition, die unseren Segen hat, denn wir von Filmtipps hegen und pflegen ja seit vielen Jahren eine Schwäche für die oftmals so virtuosen italienischen Thriller.
Allerdings besitzt MASKS nicht die Extravaganz eines AMER (der seine Zitate wesentlich raffinierter in einem mörderischen, psychosexuellen Bilderrausch versteckt hat) und verlässt sich zumindest audiovisuell vielleicht zu sehr auf das Bewährte aus dem SUSPIRIA-Fundus, so dass man eigene Ideen etwas vermisst. Weil man auch in Sachen Handlungsablauf weitgehend dem Strickmuster von Argentos ersten Hexenfilm folgt, war wohl abzusehen, dass hier und da eine Stimme laut wird, die MASKS mangelnde Eigenständigkeit vorwirft - oder gar plumpes Kopieren auf einer weit niedrigeren Budgetebene.
Die letztere dürfte allerdings nicht zuletzt dem (beschissenen) Umstand geschuldet sein, dass die deutsche Filmförderung nach wie vor keine Finanzierung von Genreproduktionen vorsieht. Somit kann auch Andreas Marschalls Zweitwerk - obgleich das Produktionsvolumen im Vergleich zu TEARS OF KALI weiter gesteigert und professionalisiert werden konnte- letztendlich das Gewand des Independentfilms nicht ganz abstreifen. Stellenweise leidet MASKS immer noch merklich an den Beschränkungen einer Very Low-Budget-Produktion. So können nicht alle mitwirkenden Schauspielerinnen und Schauspieler so überzeugen wie die von Fimminute zu Filmminute stärker auftrumpfende Debütantin Susen Ermich, die das Pendant zu Jessica Harper in SUSPIRIA spielt oder die herrlich dämonische Magdalena Ritter.
Dennoch haben Marschall und sein Team aus den geringen vorhandenen Mitteln das Optimale herausgeholt: Atmosphäre wie Sets sind düster und unheilschwanger; die blutigen Morde werden wie dereinst bei Argento, Bava und Martino nicht nur abgespult, sondern fast schon feierlich begangen und die großartige Filmmusik von Sebastian Levermann könnte so auch in einem prächtigen Giallo aus den Siebzigern zu hören gewesen sein.
Obgleich Marschalls Inszenierung wirklich ständig an SUSPIRIA erinnert und er in den Vorbildern nicht vorkommende Elemente wie die Psycho-Torturen der als Schauspiellehrer getarnten Hirnfolterknechte im Grunde schon in seinem Erstlingswerk TEARS OF KALI ausgiebig behandelt hat, darf Deutschland zufrieden mit seinem ersten eigenen Giallo sein; stellt er doch eine Hommage dar, die zwar den großen Idolen nicht unbedingt das Wasser reichen kann, sich ihrer aber durchaus als würdig erweist.
Nach Belgien (mit AMER) und Frankreich (mit BLACKARIA) versucht sich nun Deutschland an der Wiedererweckung Hoher Italienischer Murder Mystery-Kunst. Mit MASKS liefert TEARS OF KALI-Macher Andreas Marschall eine lupenreine Giallo-Hommage ab, bei der er möglicherweise etwas zu euphorisch aus dem Argento-Klassiker SUSPIRIA zitiert. Doch eine finstere, auf abartige Lehrmethoden setzende Ballett -oh Verzeihung!- Schauspielschule in Verbindung mit blutigen Morden und den schon in TEARS OF KALI ausgiebig praktizierten Psycho-Folterspielchen machen MASKS zu einem Horrorfilm, der sich wohltuend vom momentan üblichen Programm abhebt. Auch wenn Marschalls zweiter Spielfilm nicht an die gehuldigten italienischen Genreklassiker heranreicht, ist er doch kein plumper, sondern ein würdiger Tribut an die Meisterwerke eines Dario Argento.