DRAMA: USA, 2016
Regie: Kenneth Lonergan
Darsteller: Casey Affleck, Michelle Williams, Lucas Hedges, Kyle Chandler, Matthew Broderick
Er redet wenig, trinkt viel und bricht in Bars immer wieder Schlägereien vom Zaun. Bei einem selbstverschuldeten Unglücksfall hat Lee Chandler alles verloren. Und nun zwingt ihn ein weiterer Schicksalsschlag, nach Manchester an der Küste Neuenglands zurückzukehren. Sein Bruder ist gestorben, und Lee soll sich um seinen halbwüchsigen Neffen kümmern ...
Vielleicht hat Donald Trump ja doch recht mit seinem Zweifel am Klimawandel. Draußen herrscht eisige Kälte an diesem Jänner-Sonntag Nachmittag. Und drinnen, in der Dunkelheit des Kinosaals, taumelt Casey Affleck vor Kälte bibbernd durch die schneebedeckten Straßen der amerikanischen Kleinstadt Manchester. Trumpland, wie man es sich vorstellt, ist das aber nicht unbedingt. Der kleine Ort an der Küste von Massachusetts wirkt schmuck und aufgeräumt, kein sichtbare Armut, keine Trailerparks, kein Verfall, keine Industrieruinen, die wieder "great again" werden sollen. Wer's glaubt.
Aus dieser Stadt ist Lee Chandler geflohen, vor Jahren, nach einem schrecklichen Unglück, das der versoffene Narr selbst verschuldet hat. Der Film tastet sich an diese Katastrophe behutsam, in geschickt eingeflochtenen Rückblenden heran.
MANCHESTER BY THE SEA wird allerorts mit gewaltigen Lobeshymnen überhäuft, ausnahmsweise einmal wirklich gerechtfertigt. Dabei ist es ein relativ unspektakulärer Film, der eine im Kern recht simple Geschichte erzählt. Ein Mann muss sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellen. Es geht um tonnenschwere Schuld, Sühne und die vergebliche Suche nach Erlösung. Klassische (Männer-)Kinothemen eben, verpackt in ein ungemein dichtes Melodram.
Als Überlängen-Allergiker war ich zu Beginn etwas skeptisch wegen der 137 Minuten Laufzeit. Doch wie so oft bei tollen Filmen hätte ich dem Geschehen auf der Leinwand gerne noch viel länger gefolgt. Es stimmt schon, MANCHESTER BY THE SEA fällt im Grunde in die Kategorie konservatives Erzählkino. Im besten Sinne konservatives Erzählkino wohlgemerkt. Auf dessen elegisches Tempo man sich freilich einlassen muss.
Regisseur Kenneth Lonergan, der für Martin Scorsese das Drehbuch zu GANGS OF NEW YORK schrieb, entblättert eine Geschichte von beinahe Lars von Trier'scher Tragik. Aber anders als der dänische Meister-Provokateur übt sich Lonergan in Understatement: Vieles bleibt angedeutet und der Phantasie des Zusehers überlassen, heftige Emotionsausbrüche sind selten, und wenn, werden sie mit lakonischem Humor abgefedert.
Das fantastische Ensemble - Kyle Chandler, Michelle Williams, Lucas Hedges und natürlich Casey Affleck - hat alle Awards verdient, die die Academy zu vergeben hat. Und dass ein unabhängig produzierter Film einmal richtig das Box Office rockt - knappe 40 Millionen Einspielergebnis bis dato - ist ein mehr als erfreuliches Zeichen, in Zeiten wie diesen.
Casey Affleck kehrt zurück nach Manchester in Neuengland, wo er sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellen muss: Elegisches Drama von beinahe Lars von Trier'scher Heftigkeit. Einer der frühen Höhepunkte dieses Kinojahres, so viel ist sicher.