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Man muss mich nicht lieben

Man muss mich nicht lieben

OT: Je, ne suis pas pour etre aime
LOVESTORY: FRA, 2005
Regie: Stéphane Brizé
Darsteller: Patrick Chesnais, Anne Consigny, Georges Wilson

STORY:

Ein verknöcherter Gerichtsvollzieher wird aus seiner Routine gerissen, als er sich entschließt, Tangounterricht zu nehmen.

KRITIK:

50, geschieden und einsam. Das desillusionierte Leben hat sich in sein Gesicht gemeiselt. Jean-Claude glaubt nicht mehr viel erwarten zu müssen. Was braucht er mehr als die Arbeit. Er ist Gerichtsvollzieher. Er tut was er tun muss und, wenn eine Wohnung ausgeräumt werden muss, dann muss sie ausgeräumt werden. Er sitzt da und blickt auf zweierlei Welten. Jene, die hart und unerbitterlich ist, die andere, zerstört und traurig. Er sitzt dazwischen und führt Aufträge aus, damit die eine Welt die andere verschlingt. Paragraphen fressen Mitgefühl. Der Blick der Schuldnerin, als sie aus ihrer leer geräumten Wohnung schleicht, ist ohnmächtig und herzzerreißender als tausend Worte. Doch Jean Claude sitzt da und anstatt, dass ihn dieser Blick als Mensch ergreift, meldet sich der verletzte Beamte in ihm und befiehlt zwei Ausräumer mit dem dämlichen Gekichere aufzuhören.

Er und sein Vater haben etwas gemeinsam. Sie stehen zu Beginn des Filmes hinter einem Fenster und betrachten in sich verschlossen und mit einer bildfüllenden starren Sehnsucht was sie verlieren könnten, wenn sie ihren kommunikationsträgen Schweinehund nicht überwinden. Der Arzt rät Jean Claude gesunde Ernährung, ein bisschen altersgemäße Bewegung. Also meldet er sich bei dem Tangokurs an, den er jeden Tag von seinem Büro aus beobachtet hat. Jean-Claude tanzt Tango. Und, wer bei dieser fabelhaft inszenierten Sequenz nicht schmunzelt, dann weiß ich auch nicht…

Man muss mich nicht lieben ist in seinen besten Momenten komisch und voll Leben zugleich. Der Film spricht Film. Jede Szene kommuniziert mit dem Zuschauer und das nicht nur mit Worten die gesprochen werden, sondern auch mit jenen, die verschwiegen werden. Es ist ein Film der Bewegungen, Körperhaltungen und Gesten, feinst artikuliert und doch voller Natürlichkeit. Sie setzen da an, wo Worte der Figuren nicht mehr ausreichen oder Gefühle den Worten widersprechen wollen. Wenn ich feststellen darf: Solche Filme gibt es viel zu selten.

Als die um Jahre jüngere Francoise ihn als Tanzpartner wählt, beginnt die altbekannte Romanze und doch sinds dann die detailierten Akzente, die diesen Film frischer machen, als so manchen gegenwärtigen Genregenossen. Sie verliebt sich in ihn. Er verliebt sich zurück. Und ein stürmisches Davonfahren folgt einem langersehnten Kuss. Enttäuschung folgt Eifersucht und das menschliche Drama besteht darin, die Geliebten zu verletzen. Wir wissens. Es ist etwas Simples, es funktioniert in diesem Film. Liebe tut weh. Wenn der Vater es nicht schafft seine kalten, väterlichen Manieren abzulegen und seinen Sohn nach jedem seiner Besuche im Altersheim beobachtet, wie er in den Wagen steigt... ja, dann sagt der Regisseur: Liebe tut weh. Sogar einem Schweinehund. Und wir wissens in diesen Szenen nicht nur, wir beginnen mitzufühlen.

Der Regisseur versteht es feinfühlig mit Kameraeinstellungen umzugehen, geht nah ran, wenn sich die Tanzpartner der Erotik des Tangos hingeben. Und nach dem Film, würde ich Laie mal sagen: beim Tango geht es wohl darum, sich sehr nah am Tanzpartner zu bewegen, ihn sehnsüchtig anzusehen und das Dazwischen möglichst dicht mit Verlangen auszufüllen. Wer Man muss mich nicht lieben gesehen hat, wird so schnell die Nähe beim Tanz zwischen Francoise und Jean-Claude nicht vergessen. Eine Nähe, die näher nicht mehr sein kann. Wie nach einem Kuss wirkt, aber immer vor einem bleibt. Dagegen verblasst der Tanz der kaltschnäuzigen Profis im Mittelteil des Films zur bloßen Show.

Stephan Brize beschränkt sich auf das Wichtigste, das Vorantreibende in dieser Herz-Schmerz Geschichte. Er erzählt in kurzen, schwungvollen Sätzen. Und die Art die Gefühle der Figuren zu zeigen ist direkt, unmittelbar.

Die besetzten Rollen füllen Patrick Chesnais und Anne Consigny mit großer Bravour. Das sind beide Darsteller, die man erst beim zweiten Mal hinsehen erst so richtig wahrnimmt, bei denen man als Zuschauer erst feststellt, wie müde man doch von Richard Geres und Jennifer Lopez’ ist. Unbekannte Gesichter, die nicht so schönen, die unscheinbaren, das sind die interessanten.

Die übrigen Rollen sind ebenfalls optimal besetzt. Vom schüchternen, mutlosen Sohn bis hin zur spitzelnden Sekretärin. Aus allen Figuren kann man Bände lesen, ihr ganzes Leben hat sich sorgfältig auf ihnen niedergelassen und der Zuschauer hat nach den 90 Minuten das Gefühl mehr gesehen zu haben, als seine Augen tatsächlich gesehen haben. Zumindest jene, die Fantasie haben.

Der Film will mit jeder Szene auf etwas hinaus. Und ich wiederhol mich gerne: Ich mag Filme, die mit einem kommunizieren und ich hätte nicht gedacht, dass da noch jemand endlich zeigt, wie man so ein oftgesehenes Genrestück richtig zubereitet. Der fesch inszenierte Tango tut sein Übriges. Sehr schöne Feinkost. Ein Film, der zum Schwärmen einlädt.

Man muss mich nicht lieben Bild 1
Man muss mich nicht lieben Bild 2
Man muss mich nicht lieben Bild 3
Man muss mich nicht lieben Bild 4
Man muss mich nicht lieben Bild 5
FAZIT:

Großer, kleiner europäischer Liebesfilm. Macht Spaß und wirkt frisch.

WERTUNG: 8 von 10 unüberwindbare Millimeter Liebe
Gastreview von Nicolae
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