OT: Lucky Number Slevin
GANGSTERDRAMA: USA, 2006
Regie: Paul McGuigan
Darsteller: Josh Hartnett, Ben Kingsley, Morgan Freeman, Bruce Willis, Lucy Liu
Slevin Kelevra (Josh Hartnett) hat die Arschkarte gezogen! Nach einer Serie von Unglücken (Job und Freundin verloren, termitenverseuchte Wohnung) will er nur weg und beschließt, seinen Freund Nick zu besuchen. Bei der Ankunft in dessen Heimatstadt wird ihm dann auch noch die Brieftasche gestohlen, die Nase gebrochen und statt seines Freundes findet er nur dessen leere Wohnung vor. Nick ist verschwunden - aus gutem Grund: denn er hat Schulden bei den verfeindeten Unterweltgrößen der Stadt: beim "Boss" (Morgan Freeman) und beim "Rabbi" (Sir Ben Kingsley in einer optischen Don-Logan-Reprise).
Da Nick verschwunden bleibt, muss nun kurzerhand Slevin für dessen Schulden aufkommen. Das ist der Auftakt zu einem lebensgefährlichen Katz-und-Maus Spiel, bei dem Slevin ständig zum Boss oder zum Rabbi zitiert wird. Als weitere Mitspieler stellen sich ein: der misstrauische Detective Brikowski (Stanley Tucci), Yitzchok, der Sohn des Rabbi, genannt "Die Schwester" (Michael Rubenfeld), sowie Auftragskiller Mr. Goodkat (Bruce Willis). In all der Misere steht Slevin einzig die ständig plappernde aber liebreizende Lindsay (Lucy Liu) aus der Nachbarwohnung bei ...
Was für ein GRANDIOSER Film! Ich kann es nicht dezenter formulieren. Dabei fängt LUCKY NUMBER SLEVIN erstmal mit einem Kopfkratzen an. Wir sehen kurze Mordszenen, in denen der Täter unerkannt bleibt, blenden dann in eine Wartehalle, in der ein junger Mann von einem Gehbehinderten mit Hut (Bruce Willis) angesprochen wird, der ihm vom "Kansas City Schuffle" erzählt, bevor er ihn - umlegt. All das lässt sich vorerst nicht einordnen.
Und so geht es auch weiter. Immer wieder wird die an sich chronologisch erzählte Story des Films von Szenen unterbrochen, die sich dem Betrachter nicht vordergründig erschließen. Es gibt z.B. Gesprächsszenen, die am selben Ort schon zu einem früheren Zeitpunkt stattfanden oder es werden Rückblenden gezeigt, die teilweise tragische, vergangene Ereignisse schildern, die aber zuerst keinen Zusammenhang zur Gegenwart aufweisen.
LUCKY NUMBER SLEVIN baut mit meisterhafter Sorgfalt ein für den geneigten Betrachter zunächst verwirrendes Puzzle auf. Doch anders als in ähnlich konstruierten Filmen wie "Pulp Fiction oder "Bube, Dame, König, Gras, nutzen Regisseur Paul McGuigan und Drehbuchautor Jason Smilovic die Story nicht einfach zum ironischen Spiel mit dem Gangstergenre, sondern bleiben trotz Zutaten wie Profi-Killern, brutalen Bodyguards, absurden Situationen, verschachtelter Erzählweise und coolen Sprüchen im Kern der Geschichte sehr ernsthaft.
Zum Filmgenuß tragen wesentlich die wunderbar cleveren, doppeldeutig-bissigen Dialoge sowie die detaillierte Ausgestaltung der zum Teil sehr exzentrischen Charaktere bei. Die Hauptdarsteller liefern Höchstleistungen, vor allem der für mich bisher eher blasse Josh Hartnett brilliert mit einem verblüffend emotionsreichen Spiel und herrlicher Abgeklärtheit (selbst mit gebrochener Nase). Kingsley und Freeman sind einfach klasse als konkurrierende böse Bosse, und vor allem die Manierismen und Weisheiten des Rabbis wahre Kleinode der Charaktervertiefung. Bruce Willis als humorloser Killer Mr. Goodkat ist - nun Bruce Willis eben, exakt so wie wir ihn lieben. Darüber hinaus haben wir eine Vielzahl von ausgezeichneten Nebendarstellern und die stilsicheren mit Farbfilter und grafischen Effekten aufgepeppten Bilder.
Mit fortschreitender Handlung wird die coole Gangsterposse mit lustigem Verwechslungsplot immer mehr zu einer dramatischen Geschichte um Verrat, Rache, Mitgefühl und Liebe und kulminiert in einem unglaublichen, wahrhaft mächtigen Ende, das einen unvorbereitet und wie der sprichwörtliche Holzhammer trifft, wenn man nicht genau aufgepasst hat. Mir persönlich hat es den Hals zugeschnürt! (Kleines Späßchen für alle, die den Film gesehen haben.)
LUCKY NUMBER SLEVIN spielt deshalb, trotz offensichtlicher Parallelen zum coolen Gangsterflick, in einer komplett anderen Liga, da er der Crimestory eine emotionale und tragische Dimension hinzufügt, die umso stärker auf den Betrachter wirkt, als eben gerade die typischen in (oft) selbstzweckhaften Action- und Gangsterfilmen anzutreffenden Protagonisten (Willis, Kingsley, Freeman, Liu) durch die Handlung führen. Doch Mord und Tod verlieren hier das oft gesehene ironisch-verharmlosende Augenzwinkern, spätestens mit dem Gänsehaut hervorrufenden Finale. Das mag vielleicht auch der Grund sein, warum dieser in jeder Hinsicht außergewöhnliche und mit namhaften Stars besetzte Film nie in die hiesigen Kinos kam, was - gelinde gesagt - eine Frechheit ist angesichts all der filmischen Auschussware, mit der wir sonst so häufig konfrontiert werden. Dieses Meisterwerk - und nichts anderes ist LUCKY NUMBER SLEVIN - hinterlässt den Betrachter nach einem irren Wechselbad der Gefühle mit einer etwas anderen Sicht der Dinge und ohne das übliche Happy-End - und hinterfragt mit selten gesehener Konsequenz die klassischen Genre-Klischees.
Einer der absolut besten Crime-Thriller aller Zeiten.
Spannend, witzig, unvorhersehbar und von ungeahnter Komplexität, veredelt mit einem Starensemble in bester Spiellaune und dem fiesesten final-twist seit DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN. Ein Hammerfilm!!