OT: Loro
SATIRE: I/F, 2018
Regie: Paolo Sorrentino
Darsteller: Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio, Kasia Smutniak, Euridice Axen
Zuhälter, das klingt so vulgär. Sergio (Riccardo Scamarcio) sieht sich selbst als Talentscout, der für seine Models lukrative Begegnungen arrangiert. Und Sergio will hoch hinaus, am besten ins EU-Parlament. Dazu wäre es von Vorteil, mächtige Freunde zu haben, am besten Silvio höchstpersönlich, den Mann, vom dem alle nur in der dritten Person reden. Um in "seine" Nähe zu kommen, mietet Sergio eine Villa in Sichtweite der Sommerresidenz des Präsidenten und lässt die Puppen tanzen. Irgendwann wird der berühmteste Frauenheld des Landes schon anklopfen. Und so geschieht es auch ...
25 Jahre ist es nun her, seit der Bau- und Medienunternehmer Silvio Berlusconi Italiens Politik-Landschaft von Grund auf veränderte - und zwar nur bedingt zum Positiven, darüber, so denke ich, dürfte wohl Einigkeit herrschen.
Wenn es jemanden im europäischen Gegenwartskino gibt, der die schillernde Larger-than-Life-Existenz des "Cavaliere" auf Zelluloid bannen kann, dann wohl nur Oscarpreisträger Paolo Sorrentino (IL DIVO, LA GRANDE BELLEZZA, THIS MUST BE THE PLACE, YOUTH). Im Grunde ist die Lebensgeschichte Berlusconis ja unverfilmbar: Ein kleingewachsener ehemaliger Kreuzfahrtsänger, der den größen Medienkonzern Europas aufbaut und vier mal zum italienischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Der geschäftlich wie politisch stets über Leichen ging (im übertragenen Sinne. Hoffentlich. Aber was weiß man ...). Der sich - in seiner Eigenwahrnehmung - für das Wohl Italiens aufopfert, aber bedauerlicherweise ständig von linken Richtern und Journalisten daran gehindert wird, seinem Volk zu dienen. Diesem Mann hat Sorrentino nun ein filmisches Denkmal gesetzt, ein angemessen größenwahnsinniges Leinwand-Epos, das in Italien in zwei Teilen ins Kino kam und für den internationalen Markt auf 140 Minuten zurechtgeschnitten wurde.
140 Minuten Bunga Bunga-Party mit Onkel Silvio also. Das muss man erst einmal verdauen. Dabei dauert es eine Dreiviertelstunde, bis Silvio überhaupt erst auf der Bildfläche erscheint. Zuvor betrachten wir den lebenslustigen Zuhälter Sergio bei seinen vielfältigen geschäftlichen Aktivitäten, die da hauptsächlich wären: Prostituierte "einschulen" und Geschäftspartner erpressen. Sorrentino inszeniert die erste Filmhälfte als eine einzige große dekadente Orgie aus nackter Haut und weißem Pulver. Oder, um den lieben Christian Fuchs von FM4 zu zitieren, "wie ein endloses David-Guetta-Video unter der Regie von Pier Paolo Pasolini". Mit dem Unterschied vielleicht, dass Pasolini kein Interesse an zeitgenössischer Popmusik hatte, Sorrentino aber sehr wohl: LCD Soundsystem, Santigold und diverse andere sorgen für eine ausgesprochen erfreuliche akustische Untermalung der endlosen Partyszenen.
Und irgendwann taucht "er" dann doch auf. Da ändert sich die Grundstimmung des Films: Er wird ruhiger, melancholischer, aber auch komischer. Wobei ich vermute, dass der echte Berlusconi eine wesentlich tragischere Figur ist, als diese Karikatur von einem neureichen Kreuzfahrtsänger, als der ihn Sorrentinos Stammschauspieler Toni Servillo anlegt. Irgendwie tut einem dieser alternde, schwerreiche, einsame Kauz in seiner protzigen Prachtvilla dann doch leid. Als die viel zu jungen Mädchen seiner berüchtigten Bunga Bunga-Parties längst das Anwesen verlassen haben, sitzt er ganz alleine da. Und irgendwann fällt jemanden auf, dass all die Tänzerinnen und Partygirls wie Veronica aussehen, Berlusconis Ex-Frau. Also auf seine Art doch auch ein Romantiker, der Cavaliere.
140 Minuten filmische Bunga Bunga-Party mit Onkel Silvio, von Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino als exzessive, bildgewaltige, von Popmusik angetriebene Leinwand-Orgie inszeniert. Das ist selbstverständlich den Kinobesuch wert, auch wenn der Film dem echten Silvio Berlusconi vermutlich nicht wirklich nahe kommt. Dass der Cavaliere gönnerhafterweise seine Prachtvilla für die Dreharbeiten zur Verfügung stellte, sollte dabei nicht unerwähnt bleiben. Man ist ja schließlich Filmkunstliebhaber auch.
LORO läuft aktuell nur noch in zwei Wiener Kinos. Wäre schade, ihn zu versäumen.