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Lords of Chaos

Lords of Chaos

HORROR/MUSIKBIOGRAPHIE: GB/SWE, 2017
Regie: Jonas Åkerlund
Darsteller: Rory Culkin, Emory Cohen, Sky Ferreira, Jack Kilmer

STORY:

Anfang der Neunziger brannten in der norwegischen Black Metal-Szene diverse Sicherungen durch: Hass, Rassismus und Satanskult feierten fröhliche Urstände, Jahrhunderte alte Holzkirchen gingen in Flammen auf und zwei Menschen wurden erstochen. Begangen wurden die Taten von einem "Schwarzen Zirkel" im Umfeld der Black Metal-Acts Mayhem und Burzum. Basierend auf, wie es im Vorspann heißt, "der Wahrheit, den Lügen und dem, was tatsächlich passierte".

KRITIK:

Der Autor dieser Zeilen besitzt ein Dimmu Borgir-Album und wohnte vor ungefähr 1.000 Jahren einem Impaled Nazarene-Konzert bei. Ich bin mir nicht sicher, ob mich das schon zu einem Black Metal-Auskenner macht. Verzeihung: True Norwegian Black Metal muss es natürlich heißen. Erfunden hat diese extremste Spielart der eh schon reichlich extremen Musikrichtung ein gewisser Øystein "Euronymous" Aarseth, seines Zeichens Mastermind und Chefideologe der Osloer Band Mayhem. In "Varg" Vikernes erwächst ihm ein noch radikalerer Konkurrent, der ihm mit seinem Projekt Burzum künstlerisch und ideologisch den Rang abläuft.

Zwischen den beiden Musikern, die zwischenzeitlich auch zusammenarbeiteten, entbrennt ein Machtkampf, der bekanntermaßen kein gutes Ende genommen hat. Vikernes saß 16 Jahre im Gefängnis und kam 2009 frei.

Basierend auf dem Sachbuch "Lords of Chaos" des umstrittenen Autors Michael Moynihan lässt der schwedische Musikvideoregissseur Jonas Akerlund die Ereignisse als Spielfilm Revue passieren. Sein eigener Szene-Background - Akerlund war Drummer der Black Metal-Urgesteine Bathory - düfte entscheidend zum bedrückenden Realismus und dem hundertprozentigen Mittendrin-Gefühl dieses Films beigetragen haben.

LORDS OF CHAOS ist auch filmischer Black Metal: Brachial, räudig, roh und unglaublich brutal. Die Kamera ist immer in Nahaufnahme dabei, wenn zum "Spaß" Tiere gequält werden, wenn sich "Dead", der depressive Sänger von Mayhem auf offener Bühne mit einem Messer selbst verletzt, sich schließlich die Pulsadern aufschlitzt und in den Kopf schießt. Das Geschehen eskaliert immer weiter und gipfelt in zwei brutale Morde, die mit einer hyperrealistischen, nahezu dokumentarischen Zeigefreudigkeit gefilmt wurden. HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER, diese Preisklasse. Man reibt sich verwundert die Augen, dass so etwas ungeschnitten durch die FSK kommen konnte. Neben Gaspar Noes MENSCHENFEIND ist LORDS OF CHAOS auch der einzige mir bekannte Film, der in einem Vorspann vor der extremen Gewalt ("zur Abschreckung") warnt.

Bemerkenswert ist aber, dass die Brutalität nie voyeuristisch, plump oder plakativ wirkt. Nein, diese Typen waren einfach so drauf. Es ist bekanntermaßen aussichtslos, die Aktionen von Psychopathen verstehen oder gar erklären zu wollen. Ihre Taten haben einen irrationalen Kern, der sich "logischen" Erklärungen naturgemäß verweigert. In der Literatur, in der Kunst, im Film sowieso, wird inflationär mit dem Begriff des "Bösen" hantiert. Gemeint ist ein metaphysisches Prinzip, etwas Dämonisches, Teuflisches, das in Opposition zum "Guten" steht. Diesem Gut/Böse-Dualismus wohnt aber eine Vereinfachung inne, die der Realität, die bekanntermaßen nicht nur aus Schwarz und Weiß besteht, nicht gerecht werden kann. Oder wie Alexander Solschenizyn im "Archipel Gulag" schreibt: "Allmählich wurde mir offenbar, dass die Linie, die Gut und Böse trennt, nicht zwischen Staaten, nicht zwischen Klassen und nicht zwischen Parteien verläuft, sondern quer durch jedes Menschenherz. Selbst in einem vom Bösen besetzten Herzen hält sich ein Brückenkopf des Guten. Selbst im gütigsten Herzen - ein uneinnehmbarer Schlupfwinkel des Bösen."

Auch aus psychiatrischer Sicht ist "das Böse" keine gültige Kategorie, wie ich kürzlich gelesen habe. Dort wird vom Bösen als "destruktives menschliches Wollen und Handeln" gesprochen. Auch wenn das Böse - nach Solschenizyn - "quer durch jedes Menschenherz" läuft, gibt es immer eine freie Willensentscheidung. Eine Abwägung von Recht und Unrecht.

Beenden wir hiermit den kleinen philosophischen Exkurs und kehren wir zurück zu LORDS OF CHAOS: Es ist verblüffend, wie eine Bewegung, deren Ideologie im Wesentlichen aus Hass, Rassismus und rechter Esoterik bestand, eine doch beachtliche Popularität erzielen konnte. Wenn man dem Film glauben darf, standen die Groupies Schlange, um sich von "Burzum" durchvögeln, erniedrigen und beschimpfen zu lassen. Wie erklärt sich diese Faszination für destruktiven, hasserfüllten, rechtslastigen Irrsinn, in einem so reichen, auf sozialen Ausgleich und Solidarität bedachten Land wie Norwegen?

Was mich aber andererseits wieder in einem bestimmten Punkt bestätigt: Hassverbrechen und Terrorismus (Vikernes bzw. "Burzum" hatte noch Größeres vor. Lest mal den Wikipedia-Eintrag dieses Irren) haben keinen "sozialen" Hintergrund. Diese Typen hatten wohlhabende Eltern, die ihnen das Musikerleben großzügig sponserten. Hassverbrechen und Terrorismus entstehen aus ideologischer Verblendung.

Lords of Chaos Bild 1
Lords of Chaos Bild 2
Lords of Chaos Bild 3
Lords of Chaos Bild 4
Lords of Chaos Bild 5
FAZIT:

In der norwegischen Black Metal-Szene der Neunziger brannten die Sicherungen durch und die Kirchen nieder. Musikvideo-Regisseur Jonas Akerlund, der seinerzeit als Drummer bei den Extrem-Metallern Bathory die Felle malträtierte, zeichnet die Geschehnisse rund um die Bands Mayhem und Burzum, die in zwei Morde gipfelten, als kompromisslose Milieustudie nach. Filmischer Black Metal.
In diesem Sinne: "Heil Satan!"

LORDS OF CHAOS wurde auf diversen Festivals gezeigt. Es gibt auch vereinzelte spätnächtliche Kinoeinsätze. skip.at und Konsorten wissen, wann und wo.

WERTUNG: 8 von 10 ins Publikum geworfene Schweineköpfe
Dein Kommentar >>
80ty | 24.04.2019 08:25
...bin mit deiner Interpretation des Films nicht ganz d'accord. Was mir fehlt, ist der Coming-Of-Age Aspekt. So ideologisch, wie sich das im Schlussabschnitt liest, habe ich den Film gar nicht gesehen. Eigentlich scheinen die Charaktere einfach "ganz normale" Jugendliche/junge Erwachsene zu sein, die sich aufgrund von Orientierungslosigkeit gegenseitig radikalisieren. Schön zu erkennen ist das an der filmischen Erzählhaltung: aus der Perspektive von Euronymous geht hervor, dass der ganze Zirkus gerade nicht in erster Linie aus ideologischen Gründen abgezogen wurde, sondern aus Wunsch nach Zugehörigkeit. Ist ein schmaler Grad und wahrscheinlich meinen wir Ähnliches. :)

Meinetwegen darf Jonas Åkerlund gerne häufiger Spielfilme drehen. Schon Spun (2002) gefällt mir bis heute sehr gut. Diese Mischung von Drama/Satire und Humor/Horror geht in beiden Werken auf, außerdem verhindert sie ein Abgleiten in allzu moralische Gewässer, was angesichts kontroverser Themen schnell kritisch werden kann. Bei der 8/10 geh ich mit.
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