THRILLER/DRAMA: GB, 2006
Regie: Paul Andrew Williams
Darsteller: Lorraine Stanley, Johnny Harris, Georgia Groome
Der kleine Zuhälter Derek hat 24 Stunden Zeit, seine Prostituierte Kelly und die minderjährige Joanne wieder aufzutreiben. Die beiden sind in Panik aus London geflüchtet. Wovor, das wird dem Zuseher erst nach und nach klar...
KRITIK:"Der beste britische Film des Jahrhunderts", schrieb die Londoner Straßenzeitung The Big Issue. Darüber kann man streiten. Fakt ist aber: Regie-Debutant Paul Andrew Williams ist ein außergewöhnlicher Film gelungen, irgendwo zwischen hoch-emotionalem (Indie)-Drama und packendem Thriller. Die Lobeshymnen, mit denen LONDON TO BRIGHTON auf diversen Festivals abgefeiert wurde, sind ausnahmsweise wirklich gerechtfertigt.
Im britischen Kino macht ja derzeit eine neue Welle an - ich nenne sie mal "sozialrealistische Thriller-Dramen" - Furore. FOOT SOLDIER, HOOLIGANS - STAND YOUR GROUND und jetzt eben LONDON TO BRIGHTON. Natürlich hat keiner dieser wirklich spannenden und bisweilen harten und kompromisslosen Filme die heimischen Kino-Leinwände auch nur aus der Ferne gesehen.
Wie denn auch? Wo unsere Arthouse-Verleiher mit immer den selben stockbiederen Bildungsspießbürger-Dramen, in denen französische Frauen im Sommerkleidchen auf dem Fahrrad einen Korb voller Gemüse transportieren und alte Männer mit ihren Gärtnern Kalendersprüche austauschen, die Kinos verstopfen. Aber ich schweife ab...
Zurück nach London. Beziehungsweise Brighton. Zwischen diesen beiden Städten entspinnt sich eine sau-spannende Thriller-Handlung, die ziemlich geschickt in Rückblenden erzählt wird. Es geht um eine alternde Prostituierte, eine gerade mal 12-jährige Ausreißerin und einen Zuhälter, der von seinem Boss arg drangsaliert wird. Der Schnitt mit dem Rasiermesser durch seinen Unterschenkel war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Qualen, die noch kommen sollten, falls er die beiden Frauen nicht findet. Warum ein halbes Dutzend Londoner Unterweltler hinter ihnen her sind, wird hier aber nicht gespoilert...
LONDON TO BRIGHTON will kein reißerischer, ach-so-cooler Posen-Thriller (hello, Quentin, hi, Guy Ritchie) sein, sondern von echten Menschen und echten Problemen erzählen. Konsequenterweise spielt sich alles in nicht eben privilegierten sozialen Schichten ab, im Milieu von Huren, Junkies und kleinen Gangstern - aber ganz ohne die mitunter aufdringliche Sozialarbeiter-Romantik, die die heimischen Arthouse-Filmverleiher so schätzen. Okay, ich hör schon auf... ;-)
Der Film ist sauber inszeniert, kommt ganz ohne inszenatorische Mätzchen aus, setzt auf Realismus (aber ohne deshalb sperrig oder gar fad zu sein), auf ein durchdachtes Drehbuch und starke schauspielerische Leistungen. Vor allem die 14-jährige Georgia Groome spielt ihre allererste Rolle mit einer Sicherheit, vor der man den Hut ziehen muss.
Okay, über den doch etwas aufgesetzten Twist am Ende wollen wir uns nicht weiter ärgern. Der Film wäre auch ohne dieses kleine Zugeständnis an mittlerweile obligatorische Genre-Konventionen ganz ganz groß geworden.
Hervorragende Indie-Produktion aus England, die verschiedenste Genres (Mafia-Thriller, Drama, Sozialstudie) mühelos unter einen Hut bringt und dabei gleichermaßen spannend und emotional mitreißend bleibt. Es ist schon ein Jammer, dass derartigen Filmen im heimischen Kino keine Chance gegeben wird. Also, ab in die nächste Videothek!