DOKUMENTARFILM: USA, 2011
Regie: Kevin Macdonald
Darsteller: Menschen wie Du und ich
Ein Tag auf der Erde.
Was passiert, wenn YouTube auffordert, den 24. Juli 2010 weltweit festzuhalten und einzusenden? Ein einzigartiges Kaleidoskop über das Leben. Mit all seinen Facetten: Geburt, Liebe, Enttäuschung, Krankheit, Freude, Armut, Reichtum, Tod.
Aufgerufen waren damit alle, die eine Kamera in der Hand halten konnten. Und einige, die das noch nie getan haben. 80.000 Videos kamen so zusammen. Der Reiz bestand natürlich darin, dass nichts geplant werden konnte. Niemand konnte wissen, was passiert, und was davon wiederum festgehalten wird. So sind dann im Film einzigartige Einstellungen enthalten, voller Schönheit, Klarheit, Wahrheit. Momente voller Zärtlichkeit, die nicht inszeniert werden können und den Slogan Best Day ever unterstreichen.
Aber natürlich sieht man auch kurze Momente vom Unglück, das weltweit geschieht. Die bekannten, etwa die Katastrophe von Duisburg, denn die Loveparade war eben an jenem Tag. Und die unbekannten, etwa der Alkoholiker, der direkt nach dem Aufwachen zur Flasche greift. Oder die für mich schockierendste Aufnahme, die Hinrichtung einer Kuh, in deren Augen man die Angst zuvor erkennt.
LIFE IN A DAY ist also nicht ein Film, sondern unzählige gleichzeitig. Ein cinematografisches Experiment, das natürlich sehr dokumentarisch, aber auch eben sehr langweilig hätte werden können. Es ist daher ein Kunstgriff des Films, sich das Material nicht nur anzueignen und durch einen bestimmten Auswahlfilter auszusuchen, sondern es bisweilen auch zweckentfremdend zu nutzen. So sieht man kleine Geschichten, die natürlich so nie geschehen sind, weil Aufnahmen aus aller Welt kombiniert wurden.
Andererseits wird so selbst Banales wie die morgendliche Toilette durch die Montage verbindend. Zweifellos ist der Film daher letztendlich inszeniert und auch angreifbar. Regisseur Kevin Macdonald und Cutter Joe Walker setzen verschiedenste Stile intuitiv zusammen, orientieren sich an Gemeinsamkeiten und zeitlichen Zusammenhängen und kombinieren Dinge, die unterschiedlicher kaum sein können. Sie kommen damit zu erstaunlichen Ergebnissen, denen man entweder als beschönigend ablehnen oder als lebensbejahend zustimmen kann. Und sie entwickeln dabei eine Universalsprache, die jeder versteht, ohne auch nur einen Satz verstehen zu müssen.
Allerdings betrachten wir die Welt mit amerikanischen Augen: Afghanistan bildet einen kleinen Schwerpunkt, der militärische Einsatz wird dabei nicht in Frage gestellt, dafür sieht man tanzende Soldaten. Sexualität ist stattdessen tabu, ein flüchtiger Kuss und ein Geständnis, gay zu sein - damit ist eins der wichtigsten Themen der Menschheit wohl kaum ausreichend vertreten. LIFE IN A DAY umschifft aber die Gefahr, bloßen Selbstdarstellern eine Plattform zu bieten. Und dort, wo sie dann doch auftauchen, bilden sie eine spektakuläre Abwechslung zum gewöhnlichen Leben. Aber egal, welchen Aspekt man nun bevorzugt, LIFE IN A DAY ist ein facettenreicher, schöner Film, der einen Blick auf die Welt wirft, wie es ihn bislang nicht gegeben hat.
Und es ist nicht leicht, sich dem Sog, den er dabei entwickelt, zu entziehen.
Der Film ist bei Rapid Eye Movies auf DVD erschienen.
Mit den Worten des Koreaners, der mit dem Fahrrad um die Welt radelt: "When I close my eyes, I can see all the different people in the world. I can feel it, I can touch it, I can see it."