KOMÖDIE: USA, 2009
Regie: Tim Blake Nelson
Darsteller: Edward Norton, Richard Dreyfuss, Susan Sarandon, Keri Russel
Bill Kincaid hats geschafft. Er kennt die Antworten auf alle Fragen, die Studenten und Kollegen sind von seinen Vorlesungen über Klassische Philosophie begeistert und die Studentinnen reißen sich bei seinem Anblick die Kleider vom Leib. Kaum einer merkt ihm an, dass er schon einen langen Weg hinter sich hat, von seinen Wurzeln im ländlichen Oklahoma und aus seiner Familie mit Hippie-Mutter und mit Marihuana dealendem Zwillingsbruder bis zu dem Punkt, an dem er nun ist. Schließlich wird ihm auch noch die Leitung eines eigenen Institutes angeboten. Doch als ihn die Nachricht vom Tod seines Bruders ereilt und er sich dann doch wieder auf den lang vermiedenen Weg an seinen Geburtsort macht, muss er vieles von dem, was er für sicher gehalten hat, überdenken. Wenn man dabei jemand kennen lernt, der beim Fisch ausnehmen Walt Whitman zitiert, schadet das natürlich auch nicht
KRITIK:Was sich in der Nacherzählung der ersten 10 Minuten wie eine dröge Geschichte für Philosophieabsolventen liest, ist nicht mehr und nicht weniger als einer der Filme des Jahres. Man erwartet sich ja keine schlechte schauspielerische Leistung von Edward Norton, aber hier spielt er wahrscheinlich eine der (Doppel-)Rollen seines Lebens. Der Kontrast zwischen dem kultivierten, rationalen Bill und dem gerissenen Pothead Brady (mit unfassbarem Oklahoma-Dialekt) ist fantastisch umgesetzt und er überzeugt in beiden Rollen.
Unterstützt wird er von einem ausgezeichneten Schauspielerensemble (Richard Dreyfuss, Susan Sarandon, Keri Russel, Tim Blake Nelson) und Tim Blake Nelson hat sich auch als Drehbuch- und Dialogautor einiges überlegt. (Sehr witzig ist z.B. ein Gespräch über wissenschaftliches Schreiben und auf das mit Gott und den parallelen Linien muss man auch erst einmal kommen ...) Originalität ist hier aber nie Selbstzweck, sondern dient dazu, die Entwicklung der beiden Brüder darzustellen und ergibt sich stimmig aus den Charakteren.
In "Leaves of Grass" geht es um nichts weniger als die großen Fragen, vor allem die, was man mit seinem Leben anfangen soll. Erzählt wird das anhand von zwei Brüdern, die zwar identische Zwillingsbrüder sind, sich aber für beinahe konträre Lebensentwürfe entschieden haben.
Der Vollblutakademiker Bill, der sich auf der Uni einen Namen gemacht hat und tatsächlich nach den Lehren lebt, die er unterrichtet, was ihm die Anerkennung seiner Mitmenschen einbringt, der jedoch leider darüber hinaus kein Leben hat und als Gegenstück dazu sein Bruder Brady, der als Marihuanazüchter und -dealer in den Tag hinein lebt, es sich im großen und ganzen gut gehen lässt, wenn er nicht gerade irgendwelche Scharmützel mit anderen Kleinkriminellen hat und nun das Mädchen geschwängert hat, das Bill als Jugendlicher babygesittet hat. Dass beide Brüder dabei auf ihre Weise brillant sind und der Film über weite Strecken keine Stellung bezieht, macht neben den guten Dialogen einen wesentlichen Reiz des Films aus.
Neben der ganz großen Frage, wie man leben soll, streift der Film auch viele andere Themen, von sexueller Belästigung über Antisemitismus und "Hate Crimes" bis zur Gegenkultur der 60er-Jahre und dem "War on Drugs" und tut dies auf spannende und originelle Weise. Obwohl die Geschichte filmisch gesehen ganz klassisch erzählt wird und sich mit zeitlosen Fragen beschäftigt, wirkt der Film nicht zuletzt wegen der Skurrilität mancher Szenen dennoch sehr modern und erinnert vom Stil ein bisschen an die Coen-Brüder, in einem derer Filme (O Brother, Where Art Thou?) der Regisseur seinerzeit auch mitgespielt hat.
Ach ja: Wie meistens ist es netter, wenn man den Trailer nicht gesehen hat und beim Okie-Genuschel sind Untertitel dringend empfohlen. Aus unnachvollziehbaren Gründen hat der Film keinen regulären Kinostart bekommen, ist aber mittlerweile (sogar mit deutscher Synchronfassung) auf DVD und Blu-Ray erhältlich.
Fantastisch gespielter Instant-Klassiker über die großen Fragen, mit gutem Schauspiel-Ensemble, skurrilen Drehbucheinfällen und witzigen Dialogen mitreißend erzählt.