OT: Ford v Ferrari
BIOPIC-DRAMA: USA, 2019
Regie: James Mangold
Darsteller: Christian Bale, Matt Damon, Caitriona Balfe, Jon Bernthal, Josh Lucas, Ray McKinnon
Wir schreiben die Sechziger: Im Rennsport rast Ferrari von Sieg zu Sieg. Doch die Firma hat sich finanziell übernommen. Henry Ford II, seines Zeichens Patriarch der Ford Motor Company, wittert seine Chance und unterbreitet ein Übernahmeangebot. Doch Enzo Ferrari, seines Zeichens Patriarch des italienischen Supersportwagen-Herstellers, denkt nicht daran, an einen "amerikanischen Hurensohn" zu verkaufen, der "hässliche kleine Autos produziert". Henry Ford tobt. Und da gekränkter Mannesstolz oft genug der Auslöser für so manche wirre Wendung der Weltgeschichte war, beschließt Ford, es Ferrari heimzuzahlen. In 90 Tagen muss ein Sportwagen gebaut werden, der Ferrari besiegt. Geld spielt keine Rolle. Ein Fall für den Sportwagen-Konstrukteur Carroll Shelby (Matt Damon) und seinen Kumpel, dem britischen Rennfahrer Ken Miles (Christian Bale) ...
Nach einem Film wie LE MANS 66 mit der U-Bahn nach Hause fahren ist irgendwie - unsportlich. Aber was tut man nicht alles, um den Planeten zu retten. Sofern es dafür nicht schon längst zu spät ist. Steuern wir doch unaufhaltsam auf eine ökodiktatorische Zukunft zu, in der Tabakrauch, Manspreading, Fett, Zucker und Alkohol genauso verboten sein werden wie privater Autobesitz - Elektromobilität hin oder her.
In Zukunft wird, wie Facebook-Freund Paul S. sarkastisch anmerkt, die kameragestützte Familybürger-App über Kindererziehung, Ernährungsprotokoll, Zahnputzfrequenz und geschlechtsneutralen Sex wachen. Eine künstliche Intelligenz wird dich ermahnen, deinen Müll zu trennen und auch den geschissensten Nachbarn freundlich zu grüßen, um Mikroaggressionen zu vermeiden und Terroranschlägen vorzubeugen. Wer stets freundlich lächelt, bekommt Zugang zu Premium-Safe-Space-Begegnungszonen, in der gendersensitive Achtsamkeit praktiziert und Schimpfworte verboten sind.
Dass ein Film wie LE MANS 66, der in sozial höchst unverantwortlicher Weise toxische Männlichkeit, Geschwindigkeitsübertretungen, Verbrennungsmotoren, Reifenabrieb und CO2-Ausstoß glorifiziert, nicht ohne Trigger-Warnung auf "Netflix Classic" gezeigt werden wird, versteht sich wohl von selbst.
Der Film unternimmt eine Reise in die gute alte ölverschmierte Zeit der tollkühnen Männer in ihren benzinbetriebenen Kisten. Er zeigt eine hermetische Testosteronhölle, die intensiv nach Männerschweiß, Benzin und abgeriebenen Reigengummi duftet. Wobei das mit dem Testosteron streng genommen gar nicht stimmt: Interessanterweise werden die furchtlosen Rennfahrer und begnadeten Autotüftler als völlig asexuelle Wesen gezeichnet, die lieber unter ihren Autos liegen als bei ihren Frauen.
Die Autos spielen sowieso die Hauptrolle: Der Ford GT 40, den Christian Bale liebevoll "mein Mädchen" nennt, die er gerne mal "hart rannimmt", von der er aber immer weiß, wo der Reifen drückt. Christian Bale, vielleicht der wandlungsfähigste Schauspieler unserer Zeit, der eben noch der herzkranke Dick Cheney war, schlüpft in die Rolle des britischen Rennfahrers Ken Miles, dessen hitzköpfiges Naturell für genug Konfliktstoff sorgt - mit den "Spießern" in der Konzernzentrale genauso wie mit seinem Freund, dem Autokonstrukteur Caroll Shelby, gespielt von Matt Damon.
Dass James Mangold (u.a. LOGAN) ein ausgesprochen routinierter Handwerker ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Der Film überzeugt als glänzend ausgestattetes Biopic-Drama, das den Spirit seiner Zeit mit - so glaube ich - größtmöglicher Authentizität auf die Leinwand bringt. Das größte Asset sind erwartungsgemäß die Renn-Sequenzen, die mit einer Akribie inszeniert wurden, die an den alten Stanley Kubrick erinnert. Allein der Aufwand, die historische Rennstrecke von Le Mans, die in dieser Form nicht mehr existiert, an x verschiedenen Schauplätzen detailgetreu zu rekonstruieren, ist eigentlich irre. Aber auch dem Sujet angemessen: Ein 24-Stunden-Autorennen ist ja auch eine etwas jenseitige, um nicht zu sagen irre Angelegenheit.
Die Überlänge - 156 Minuten - hat mich Anfangs ein wenig geschreckt. Tatsächlich vergeht die Zeit aber wie im Flug. Ein Mindestmaß an Interesse für Automobil- und Wirtschaftsgeschichte freilich vorausgesetzt. Wenn es an dem Film etwas auszusetzen gibt, dann vielleicht, dass er den virtuos geschnittenen, pulsfrequenzsteigernden Renn-Sequenzen mehr Raum gibt als den Charakteren selbst. Und dass er Raum für Gedankenspiele lässt: Wie hätte der Film ausgesehen, wäre ein anderer Mann am Regiestuhl gesessen, der große Martin Scorsese vielleicht? Hätte er Leonardo DiCaprio statt Matt Damon gecastet? Aber stopp, Leo in einem Super-Sportwagen, das nimmt kein gutes Ende, wie wir aus THE WOLF OF WALL STREET wissen ...
Kann man sich Gedanken zur Klimakatastrophe machen UND auf Autos stehen? Kann man - plakativ ausgedrückt - Greta Thunberg UND Enzo Ferrari mögen?
Ist das noch "die Dualität des Menschen" (Zitat aus Stanley Kubricks FULL METAL JACKET) oder schon ein Fall von leichter Schizophrenie? Wie auch immer, James Mangolds episches Rennfahrer-Biopic-Drama ist jedenfalls eine ausgesprochen lohnende Angelegenheit - ein Mindestmaß an Interesse für Automobil - und Wirtschaftsgeschichte freilich vorausgesetzt.