OT: Lawrence of Arabia
HISTORIENEPOS: GB, 1962
Regie: David Lean
Darsteller: Peter O'Toole, Alec Guinness, Anthony Quinn, Omar Sharif, José Ferrer, Claude Rains
Der britische Offizier T. E. Lawrence soll während des 1. Weltkriegs den arabischen Prinz Feisal aufsuchen, um seinen Aufstand gegen die Türken zu beobachten. Sehr bald gewinnt Lawrence sein Vertrauen, übernimmt das Kommando, vereint die verfeindeten Araberstämmeund erobert mit einem ebenso gewagten wie genialen militärischen Schachzug die wichtige Hafenstadt Aqaba. Damit beginnt eine erbarmungsloser Guerillakrieg gegen die Türken...
Prince Feisal: "Gasim's time has come, Lawrence. It is written."
Lawrence: "Nothing is written!"
Lawrence von Arabien. Sowohl als Person als auch als Film eine Legende. Und ebenso wie die Person Lawrence zeugt auch der Film von Größenwahn. Fast vier Stunden Film. Zwei Jahre Vorbereitungszeit. Eineinhalb Jahre Drehzeit. Und nahezu alles tatsächlich vor Ort. Gedreht wurde in glühender Hitze in Jordanien und Marokko.
1962. Es war die Zeit der großen Epen. Damals wie heute wollte man die Zuschauer vom Bildschirm weglocken. Filme wie CLEOPATRA, BEN HUR oder eben auch David Leans DIE BRÜCKE AM KWAI versprachen ein Erlebnis, mit dem das Fernsehen nicht konkurrieren konnte. In Farbe. In Breitwand. Und Stereoton. Doch anders die heutigen Größer-Weiter-Schneller-Schlachten wussten die Filme damals noch eine Geschichte zu erzählen. Und David Lean war der beste Geschichtenerzähler von allen.
Um dieses Ziel zu erreichen, setzte Lean extreme Ansprüche an seine Mitarbeiter. Verschont blieben weder die Schauspieler - die schmerzhaft lernen mussten, auf einem Kamel zu reiten - noch sein Team hinter der Kamera. Um Omar Sharifs eindrucksvollen ersten Auftritt aus extremer Entfernung drehen zu können, forderte er eine Linse mit 482 mm Brennweite. Paramount entwickelte die Linse tatsächlich für diese eine Aufnahme. Und so konnte Omar Sharif aus den Dunstspiegelungen der Wüste in den Film reiten.
Sherif Ali: "What are you looking for?"
Lawrence: "Some way to announce myself."
Sherif Ali: "Be patient with him, God."
Dabei nahmen er und vor allem sein Drehbuchautor Robert Bolt sich durchaus Freiheiten gegenüber der Historie heraus. Tatsächlich gelebt haben neben Lawrence etwa Prinz Feisal und der von Anthony Quinn dargestellte Auda ibu Tayi. Dagegen ist die von Omar Sharif gespielte Figur Sherif Ali ein Konglomerat aus verschiedenen Persönlichkeiten.
Kritiker mäkeln zudem, dass es Pläne eines Guerillakriegs gegen die Türken schon zuvor gab. Dass Lawrence schon in Vorkriegstagen mit der arabischen Kultur vertraut war. Dass Aqaba nicht alleine von Lawrence und seinen Arabern, sondern eben auch von der britischen Marine erobert wurde. Die Entscheidung, diese historischen Fakten auszublenden, stellt Lawrence anfänglichen Siegeszug höher dar, als er es tatsächlich war. Der Film legt auch eine unterdrückte Homosexualität und einen zumindest sadomasochistischen Hang seiner zentralen Hauptfigur nahe. Beides ist nicht belegt, sondern wird bestenfalls diskutiert.
Durch diese Freiheiten, die handelnden Figuren zu interpretieren, zu charakterisieren und ihre Handlungen in ein Spannungsfeld zum historischen Hintergrund zu setzen, gewinnt aber LAWRENCE VON ARABIEN genau die Kraft, die ihn von einem bloßen Schauwert unterscheidet. Die Entscheidung hierfür fiel dabei nicht über Nacht, sondern war ein langer Prozess.
Die erste Drehbuchfassung stammte noch vom KWAI-Drehbuchautor Michael Wilson und konzentrierte sich mehr auf die arabische Revolte und die politischen Hintergründe. Erst Robert Bolts in 14 Monaten geschriebenes Drehbuch machte aus LAWRENCE eine Charakterstudie. Dabei ruinierte er vielleicht den Historienfilm, rettete aber dafür den Film. Sein Lawrence ist die Geschichte eines Mannes, der größenwahnsinnig wird und scheitern muss. Eine griechische Tragödie.
Auda abu Tayi: "You will cross Sinai?"
Lawrence: "Moses did!"
Auda abu Tayi: "And you will take the children?"
Lawrence: "Moses did!"
An anderen Stellen wollte David Lean genau sein, aber auch sein Budget war begrenzt. So wählte man Sevilla als Drehort für Kairo, Damaskus und Jerusalem. Und obwohl anders geplant, konnte Lean nicht im wirklichen Aqaba drehen. Aqaba entstand ebenfalls in Spanien als künstliche Kulisse an einem einsamen Strand in der Nähe von Almeria. Und dort drehte man zugleich einige Zugsequenzen. Die technische und logistische Leistung der Spanier imponierte nicht nur David Lean. Vielmehr legte Almeria damit den Grundstein als Drehort für die später entstandenen Italo-Western.
Dennoch bleiben natürlich die Aufnahmen aus Marokko und vor allem aus Jordanien unübertroffen. Wenn die Beduinen aus dem Tal Richtung Aqaba reiten, verschlägt einem die imposante Kulisse den Atem. Der Mensch wird winzig, und hat doch Größe. Für einen solchen Maßstab braucht man die ganz große Leinwand. Und dafür braucht man das beste Format, dass das Kino je hervorgebracht hat. Bei einer 70 mm Projektion glaubt man, Sandkörner zählen zu können. Jede Diskussion, ob LAWRENCE VON ARABIEN nicht an einigen Stellen vielleicht doch etwas zu lang geraten ist, ist in diesen Augenblicken nur noch beschämend.
Größer war Kino nie.
Lawrence: "The best of them won't come for money. They'll come for me!"
228 Minuten Film. 7 Oscars. Ein Epos von einem Film.
Aber es ist völlig egal, wieviele Oscars LAWRENCE VON ARABIEN gewonnen hat. Wieviele Meter Film wo belichtet wurden. Wieviele Zuschauer ihn wann gesehen haben. LAWRENCE VON ARABIEN ist Dokument über den Größenwahn. Und über das, wozu Menschen fähig sind. Sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.
Lawrence: "The truth is: I'm an ordinary man. You might have told me that, Dryden."