DRAMA/SATIRE/KOMöDIE: I/F, 2013
Regie: Paolo Sorriento
Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso, Iaia Forte, Pamela Villoresi, Galatea Ranzi, Franco Graziosi, Giorgio Pasotti
Jep Gambardella (Tony Servillo) ist der König der römischen High Society. Als Klatschjournalist, erfolgreicher Einmalschriftsteller und Dandy frönt er dem Dolce Vita, was hauptsächlich bedeutet sich jeden Abend zu betrinken, allerdings nur soviel, "dass er nicht lästig wird". Dabei beobachtet und dekonstruiert er die Leere in ihm und um ihn herum. Alles ist eigentlich so wie immer, nur dass er es im Gegensatz zu früher nicht mehr schafft Zeit mit Menschen oder Dingen zu verbringen, "die er nicht mag". Ist er es, der das Leben immer schlechter erträgt, oder ist es die Welt, die immer verrückter wird. Es ist natürlich beides.
Nachdem Roberto Begnini und Guiseppe Tornatore so wenig von sich hören lassen, hält der eigentlich immer noch junge Meisterregisseur Paolo Sorriento die Fackel des internationalen italienischen Kinos. Nach dem hochgelobten "Mafia"-Drama Il Divo und dem nicht minder meisterhaften Cheyenne - This must be the place hat er nichts geringeres geschaffen als eine Hommage und heimliche Fortsetzung des Allzeitklassikers La Dolce Vita von Federico Fellini.
In vielen Szenen werden Bildsprache und Atmosphäre von La Dolce Vita und Fellinis Roma geschickt kopiert, das fast schon zu makellose Postkarten-Rom ist bevölkert von schrägen Gestalten, deren Speerspitze natürlich der Klerus bildet, unser Held ist ein würdevoll gealterter Guido, der die perfekte Balance aus Intellektualität und Oberflächlichkeit findet. Nicht fehlen darf es an den treffenden und fantasievollen Seitenhiebe gegen die römische Gesellschaft. Und die Frauen, diese Unzahl an hochinteressanten Frauen(-figuren). Die Kleinen und die Großen, die Dummen und die Intelligenten, die Unterdrückten und die Freien, die Simplen und die Komplizierten, die Schönen und die Hässlichen, die Alten und die Jungen, die mit sich selbst im reinen und die Selbstbetrügerinnen... Notiz an diejenigen, die mit Fellinis doch eher antiquiertem Frauenbild ein Problem haben, seien beruhigt. Sorriento ist hier absolut in der Gegenwart angekommen.
Ich weiß, bis jetzt klingt das nach einem durchschnittlichen Wellnessmovie mit unglaublich magischen Bildern und gekonnter Romschleichwerbung. Und ja, man mag La Grande Bellezza man viel vorwerfen können. "Abgefrühstückte Pointen" oder "großkotzige Banalität" wie einige Kritiker schrieben. Aber ich würde das eher mit "Referenzbewusstsein" und "Selbstreflexion" umschreiben. Und ich möchte dagegenhalten, dass La Grande Bellezza, wie der geneigte Leser vermutlich schon längst entschlüsseln konnte, nicht von ungefähr "die große Schönheit" bedeutet.
Wie heißt es doch: Wahre Schönheit kommt von innen. Sie strahlt nur so aus einem heraus. Und das ist so unfassbar widersprüchlich, weil sie sich doch dadurch im Hässlichen, im Traurigen, im Oberflächlichen und in der Leere genauso offenbart, wie dort, wo man Sie ohnehin vermuten würde. Wenn man diese scheinbar so makellose und verkommene Welt durch die zynischen und doch liebevollen Augen des Protagonisten (und des Regisseurs) betrachtet, offenbart sich, dass sich die Schönheit eben nicht im Kontrast zur großen Oberflächlichkeit und sinnlosen Leere des Daseins zeigt, sondern erst in der Kombination mit denselben entsteht und ihre volle Wirkung entfalten kann. Dieses verfluchte Leben ist so unerträglich, aber eben so unerträglich schön, dass man eigentlich nur wahnsinnig werden kann. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Es gibt viele Möglichkeiten die Welt zu betrachten. Es gibt u.a. Optimisten, Pessimisten, Realisten, Depressive und dann gibt es diese oftmals vergessenen Grauzonen dazwischen. Und grau klingt jetzt so traurig, wo damit doch die wundervolle Farbpalette zwischen Schwarz und Weiß gemeint ist. La Grande Bellezza ist so eines dieser Kunstwerke, die uns zu anders zu sehen lehren, indem sie das Farbspektrum unserer Wahrnehmung bedeutend erweitern.
Im Leben sind angeblich zwei große Katastrophen möglich. Nicht zu bekommen, was man möchte. Oder doch zu bekommen, was man möchte. Die, die Pech haben, erleiden Mangel, die, die Glück haben, erleiden die Leere. Aber dann gibt es diejenigen, die Terence Malick oder Federico Fellini kennen. Und jetzt eben Paolo Sorriento. Und kurz durch deren Augen einen Blick auf die Welt erhaschen durften. Denen geht es grundsätzlich auch nicht besser. Aber sie haben das erwähnte Lächeln auf den Lippen. Nicht immer, aber zumindest noch lange, nachdem im Kino das Licht wieder angegangen ist.
La Grande Bellezza ist ein Film, dessen große (geschundene, widersprüchliche, wunderschöne) Seele sich unter seiner allzu perfekten Oberflächlichkeit versteckt. Wer sie aber zu entdecken vermag, der wird mit unerträglicher Schönheit belohnt, die es dem Zuseher ums Herz abwechselnd eng und weit werden lässt und ihm somit schon einmal die wichtigsten Überlebensfunktionen abnimmt. Wenn man sich so richtig ans Kino anschließen möchte um sich mit Leben vollpumpen zu lassen, dann ist man hier richtig. Aber Freunde, nicht vergessen! Es ist nicht das richtige Leben. Es ist nur eine Droge. ;-)
P.S. 1) Zu sehen im Wiener Topkino noch bis zum 29. August.
P.S. 2) Bitte nicht vom Trailer abschrecken lassen, der wirkt nämlich wirklich banal und abgefrühstückt.