DRAMA/BIOGRAPHIE/MUSIK: I, 1989
Regie: Klaus Kinski
Darsteller: Klaus Kinski, Deborah Caprioglio, Nikolai Kinski, Eva Grimaldi
Wie der Titel schon sagt: Klaus Kinski ist Paganini.
KRITIK:"Eine dieser bestialisch stinkenden Scheißhaus- Beschäftigungen ist ausgeschissene, im Druck ausgeschmierte, wie Hundescheiße verbreitete und alles besudelnde Kritik. Ist das ein Beruf, Kritiker? [...Diese] impotent sabbernde[n] Paralytiker, impertinent und arrogant wie Sektierer."
Wo Klaus Kinski recht hat, hat er recht. Darum will ich auch gar nicht erst den Versuch unternehmen, dieses in jeder Hinsicht einzigartige, wie im Rausch dahin delirierende, musikdurchtränkte, ausschweifende Lebenswerk - jawohl, mit nichts Geringerem als dem Lebenswerk Klaus Kinskis haben wir es hier zu tun - zu kritisieren.
20 Jahre seines Lebens hat sich Kinski intensivst mit Nicolo Paganini beschäftigt. Kinski war besessen von der Idee, die Reinkarnation des berüchtigten "Teufelsgeigers" zu sein.
"Tag und Nacht presste ich meine Ohren, meine Augen, meinen Mund, mein ganzes Gesicht, meinen Kopf, meinen Körper, meinen Unterleib gegen die Membranen der großen Lautsprecher meiner Stereoanlage, um die Vibration der Musik in mich aufzusaugen."
"Paganinis Musik beherrschte mein Denken und mein Fühlen. Sie drang in meine Knochen, in meine Eingeweide. Und in mein Geschlecht."
"Ich dachte und fühlte, ich handelte wie Paganini. Seine sexuelle Gier war ohnehin die meine. Ich lebte sein Leben, das mein eigenes war."
Folgerichtig legt Kinski - pardon - Paganini sein Film-Alter Ego als zerrissenen, getriebenen Charakter an, als manischen Grenzgänger, als schwanzgesteuertes Sexmonster, als missverstandenes Genie, aber auch als übermenschlich liebenden Vater.
KINSKI PAGANINI ist deshalb auch ein filmisches Familienunternehmen: Achille, Paganinis Sohn spielt Nanhoï Nikolai, Kinskis Sohn. In die Rolle von Paganinis Geliebter schlüpfte Kinskis damalige Geliebte Debora Caprioglio (als Debora Kinski).
Ohne fixes Drehbuch, ohne künstliche Beleuchtung, ohne sich an irgendwelche filmischen Konventionen zu halten, zeichnet Kinski zentrale Lebensstationen Paganinis nach. Das Ergebnis ist mehr "Videoclip" als Spielfilm; eine Handlung im herkömmlichen Sinne gibt es nicht.
"Nie wäre mir in den Sinn gekommen, das, was ich ausdrücken wollte, in die Zwangsjacke eines dieser idiotischen, fürs Publikum zusammengeschusterten Film-Handlungen zu verschnüren; mit ihrer pedantischen und diktatorischen Logik und 'Continuity'. Der Versuch PAGANINI in die übliche Form eines Films einzuzwängen, hieße ihn lebendig einzumauern. Denn er lebte - in mir."
PAGANINI funktioniert vor allem auf der Ebene der Wahrnehmung: Als musikalisches Dokument, als hypnotischer Bilderrausch, wenn man so will, als eineinhalbstündiger Videoclip aus dem Bewusstsein von Klaus Kinski.
Dass der Meister dabei keine Kompromisse eingehen würde, sollte klar sein - oder auch nicht. Die Produzenten waren jedenfalls not amused: "Brutal", "pornographisch" und "nicht spielbar" sei der Film. Kinski wurde gezwungen, sein Werk zu kürzen und in den Sexszenen (bisweilen ziemlich echt, hart an der Grenze zum Hardcore) zu entschärfen. Trotzdem wurde der Film von den Produzenten zurück gehalten.
Drei Jahre vergehen, in denen Kinski verzweifelt um die Aufführung seines Lebenswerks kämpfte.
"PAGANINI sabotiert, blockiert zu wissen, machte mich verzweifelt und ließ mich vor ohnmächtiger Wut und Verzweiflung aufschreien. Welche Agonie ich zu überstehen hatte. Welchen Kampf, der vielleicht der schwerste meines Lebens war."
PAGANINI sollte Kinskis letzte Rolle bleiben. Den deutschen Kinostart 1999 erlebte er nicht mehr.
Die DVD aus dem Hause SPV (eigentlich ein einschlägiges Heavy Metal-Label) zeigt den Film in zwei Fassungen: Die gekürzte, von Kinski selbst englisch synchronisierte Kinofassung und die längere, zufällig in Kinskis Nachlass entdeckte "Versione Originale". Heute würde man wohl "Directors Cut" dazu sagen. Die Bildqualität der nie veröffentlichten "Versione Originale" ist allerdings wesentlich schwächer als die Kinofassung. Als Extras gibts noch weiteres unveröffentlichtes Bildmaterial sowie Kinskis legendäre Pressekonferenz in Cannes 1989. Der Mann konnte auch perfekt auf Französisch fluchen.
Dass diese DVD in jeden Haushalt gehört, versteht sich wohl von selbst.
(Alle kursiven Zitate aus dem DVD-Booklet).
Klaus Kinskis einzige Regiearbeit: Ein manisches, bisweilen unendlich eitles Biopic, das in seiner Maßlosigkeit, Leidenschaft und Kompromisslosigkeit wohl als Psychogramm seines Machers gesehen werden muss. Damit über jede Kritik erhaben ...