DRAMA: USA, 2005
Regie: Bill Condon
Darsteller: Liam Neeson, Laura Linney, Tim Curry
Bio-Pic über den amerikanischen Wissenschaftler Alfred Kinsey, dessen Studien über das menschliche Sexualverhalten die verklemmte amerikanische Nachkriegs-Öffentlichkeit in ihren Grundfesten erschütterte.
KRITIK:
Das wurde auch langsam Zeit: Endlich wird der bösartigen Dummheit in Sachen Politik und Sexualmoral,
mit der George Bush und seine religiösen Fanatiker die USA (und den Rest der Welt) überziehen,
ein ordentlicher filmischer Kinnhaken verpasst.
Doch der Reihe nach.
Alfred Kinsey, der Mann, der heute als Vater der sexuellen Revolution gilt,
war ein besonders krasser Fall von Spätzünder:
Seine Unschuld verlor er im zarten Alter von 27 Jahren - mehrere Monate nach (!) seiner Hochzeit.
Kein Wunder, denn als Sohn eines erzkonservativen Methodistenpredigers wurde ihm eingetrichtert,
dass alles Körperliche böse, Sex eine Sünde, Homosexualität ein Verbrechen und Selbstbefriedigung eine Krankheit sei.
Gegen letztere wird im Film übrigens empfohlen, "den Darm zu entleeren, das Gemächt mit kaltem Wasser abzukühlen, ein Gebet sprechen und an die reine Liebe seiner Mutter zu denken".
Natürlich lacht der Kinosaal über derartigen groben Unfug.
Doch der Film macht schnell klar, dass diese kranke Ignoranz in Sachen Sex für die Menschen zu Kinsey's Zeit alles andere als lustig war.
Alfred Kinsey entschloss sich also zum Kampf gegen bösartige Dummheit, gegen mittelalterliche Moralvorschriften, gegen Verbote, kurz: gegen das Tabu. Auf der Uni verteilte er Fragebögen: "Was ist ihre Lieblingsstellung?" "Wann hatten Sie zum Ersten Mal Sex?"
Zugegeben, Fragen wie diese könnten auch in der Sonntagskrone stehen. Doch in der stockkonservativen Gesellschaft der Nachkriegszeit schlug der Kinsey-Report ein wie eine Bombe. Kinsey wurde kurzzeitig zum wissenschaftlichen Star, doch sein Erfolg hielt nicht lange an.
Der Film ist natürlich sehenswert. Dass die Schauspieler Großes leisten, muss nicht extra erwähnt werden; das wird von Filmen dieser Art ganz einfach erwartet.
'Kinsey' ist großes Schauspielerkino UND ein spannendes Stück Zeitgeschichte UND ein deutliches gesellschaftspolitisches Statement.
Dieser Film hat das, was der Amerikaner als 'Attitude' bezeichnet: Eine Haltung, einen Standpunkt, eine klar vertretene Meinung. Die ist - wenig überraschend - nicht wirklich Bush-freundlich ausgefallen.
Die amerikanischen Zensurbehörden reagierten auf ihre Weise: Sie drückten dem Film strenges Jugendverbot rein. Wegen
"pervasive sexual content, including some graphic images and descriptions". Tja.
Ambitionierte Biographie. Wer auch nur ein Mindestmaß an gesellschaftspolitischem Interesse aufbringt, sollte diesen Film sehen.