DRAMA/GROTESKE: D, 2010
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Tobias Moretti, Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Heribert Sasse
Die Entstehungsgeschichte des berüchtigten antisemitischen Propagandafilms "Jud Süß", frei nach Regisseur Oskar Roehler: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) versucht mit allen Mitteln der Verführungskunst, den Wiener Schauspieler Marian (Tobias Moretti) für die Titelrolle seines "kriegswichtigen" Films zu gewinnen. Marian wehrt sich anfangs gegen das Angebot Goebbels, willigt aber letzten Endes ein, darf seine 15 Minuten Ruhm von Goebbels Gnaden genießen und erkennt viel zu spät, was er mit dem Film angerichtet hat …
KRITIK:Man hat's nicht leicht als deutscher Filmemacher. Ein Quentin Tarantino darf Hitler in einem Pariser Kino grillen und bekommt dafür Jubelkritiken und Preise sonder Zahl in den Hintern geschoben. Ein Oskar Roehler darf sich nicht mal klitzekleine fiktive Elemente und Ungenauigkeiten leisten, ohne dafür schriftlich hingerichtet zu werden. Auf der Berlinale wurde "Jud Süss - Film ohne Gewissen" von der Kritik in der Luft zerrissen, als hätte Uwe Boll Regie geführt. Der übrigens auch gerade an einem - gelinde gesagt - umstrittenen Film zur NS-Zeit arbeitet. Bei dem ich nicht weiß, was ich davon halten soll.
Oskar Roehler also. Ich mag den Mann. Ich liebe seine messerscharfe und schonungslose Analyse deutscher Befindlichkeiten, deutschen Lebens. Mir taugt seine Scheiss-mich-nix-Haltung und seine Lust an der Übertreibung, seine Flirts mit Camp- und Trash-Elementen, der sanfte Hauch von Wahnsinn, der seine Filme durchzieht. Ich halte selbst seinen verunglückten ELEMENTARTEILCHEN für sehenswert und bin immer noch der Meinung, dass AGNES UND SEINE BRÜDER einer der beste deutschen Filme der Nullerjahre ist. Man kann also nicht behaupten, dass ich mit geringen Erwartungen in DEN FILM OHNE GEWISSEN gegangen wäre.
Der Film ist auch gut. Wirklich gut. Roehlers Werk ist definitiv kein weiterer "Wohlfühl-Historienschinken, voll biederem Ernst und Fantasielosigkeit, mit der die beauftragten deutschen Filmbeamten mit den beauftragten deutschen Filmschauspielerbeamten irgendwelche NS-Kostüm-Schmonzetten ohne jedes Risiko drehen, zu denen das Publikum dann zwei Stunden lang pflichtschuldig zu gähnen hat". (Oskar Roehler im profil.)
Roehler geht es weniger um historische Fakten als um emotionale Konflikte. Da gehören auch Sex, Sensationen und Skandale dazu. Ersteres, also Sex ist sowieso das Lieblingsthema Oskar Roehlers. Das Leitmotiv im FILM OHNE GEWISSEN ist die Verführung. Die unwiderstehliche Verführung durch ein totalitäres Regime, wo Joseph Goebbels (mit einer Höllenperformance: Moritz Bleibtreu) alle Register zieht.
Und für letzters, also Skandale oder zumindest Kontroversen, hat der Film bekanntlich gesorgt. Vielleicht wären die Kritiken besser ausgefallen, wenn die schreibende Zunft es der Mühe Wert gefunden hätte, das Producer Statement von Produzent Franz Novotny zu lesen. Das hat es wirklich in sich - und wird deshalb hier ungekürzt abgedruckt:
Was kann nach DAS BOOT, DER UNTERGANG oder MEIN FÜHRER - DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER mit Helge Schneider noch gesagt werden? - Eines ist allerdings noch nicht erreicht: das Publikum, das mit einem "feinen Leben in der Wohlfühldiktatur” überrascht wird. Denn das Leben in der Spaßgesellschaft der 30er sah ganz anders aus, als wir es wahrhaben wollen: Smarte urbane Menschen suchen Vergnügen, Mercedes fahren ist auf den breiten Chausseen ein Heidenspaß, die Restaurants sind ein Genuss, die Mädels werfen sich einem an den Hals, es ist einfach berauschend als erfolgreicher, junger Aufsteiger in dieser deutschen Stadt Berlin zu leben. Wir sind beim Film! Wir können Karriere machen, Hitler und Goebbels geben uns die Chance! Dafür nimmt man einiges in Kauf, Kleinigkeiten wohl, bei denen man leicht wegsehen kann. Das bisschen Uniform, das mit den Juden, das gibt sich wieder.
So wird sich Ferdinand Marian, der Protagonist von JUD SÜSS in die moralische Unschärfe hineingedacht haben, wenn er mal an "'nem Juden auf der Straße” vorbei sah. Da war ihm wohl die unmittelbare Karriere wichtiger - man lebt nur einmal und jetzt ist die Chance da.
So sehen wir in dem Film den Aufstieg eines Begabten, der sich nicht nur irgendwie durchlaviert, sondern seine Laufbahn auch sorgfältig plant. Wir zeigen die ‚angenehme und wohltuende Verführung’ durch ein totalitäres Regime - durch neuere Forschungsergebnisse gestützt. Und wir widerlegen die Interpretationen, die mit der Behauptung, hauptsächlich Unterdrückung und Terror hätten das "Dritte Reich" bestehen lassen, Vergebung für die Deutschen und Österreicher generierten, die die Diktatur begeistert unterstützten.
Wir nehmen die Korrektur vor: Es war pfiffig und angenehm, sich zu den passiven und aktiven Befürwortern des Systems zählen zu können. Man hat sich’s bis weit zum Untergang sehr gut gehen lassen. Hier wird Geschichte greifbar und nah, hier sind die Berührungspunkte zu unserer Konkurrenzgesellschaft, in der die humanen Werte des eigenen Vorteils wegen korrumpiert werden.
Die Karriere des Ferdinand Marian war auf einem grauenvollen Mit-Tun aufgebaut, und seine Eitelkeit instrumentalisierte der NS-Staat nutzbringend für sich. Dies transparent und bekannt zu machen, ist meine Motivation, gerade diesen Stoff zu produzieren.
(Franz Novotny über JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN)
Vergesst die schlechten Kritiken! Die haben nix kapiert. Es ist nämlich so: Der radikale deutsche Scheiss-mich-nix-Filmemacher Oskar Roehler erzählt die Entstehungsgeschichte des berüchtigten Nazi-Propagandafilms "Jud Süß" auf seine Weise: Zugegeben etwas fahrig zwischen theatralischer Groteske, Sex, Crime, Exploitation und hochemotionalem Drama pendelnd, zeigt der Film, dass die Nazi-Diktatur nicht nur auf Terror, sondern auch auf Verführung durch eine dekadente Elite beruhte. Und dass das elende Mitläufer- und Tätertum nicht nur aus Angst erfolgte, sondern durchaus seine angenehmen Seiten hatte. Ein keineswegs perfekter, aber stilistisch sehr eigenwilliger, sehr faszinierender Film. Vermutlich bald in einem ARTE-Themenabend mit den ähnlich gelagerten Werken MEPHISTO und DER UNHOLD.
In diesem Sinne: "Sie wären ein großartiger Schauspieler, Herr Minister!"