TRAGIKOMÖDIE: USA, 2015
Regie: David O. Russell
Darsteller: Jennifer Lawrence, Bradley Cooper, Robert De Niro, Édgar RamÃrez, Isabella Rossellini
Jennifer Lawrence ist Joy, eine junge Frau, die mit einer Erfindung den Alltag amerikanischer Hausfrauen zu revolutionieren gedenkt und damit - nach vielen Rückschlägen und Katastrophen - zur Millionärin wird.
Manchmal ist es von Vorteil, sich vollkommen unvorbereitet auf ein Filmerlebnis einzulassen. Das Einzige, was ich von JOY vorher in Erfahrung gebracht hatte, war: Der neue Film von David O. Russel, wieder mit Jennifer Lawrence und Bradley Cooper. Und dieser wundervolle, schwebende Trailer.
Ich bin mir nicht sicher, ob es meine Vorfreude gesteigert hätte, wenn ich vorab gelesen hätte, dass der Film im Wesentlichen von einer Frau handelt, die einen neuartigen Wischmop erfindet. Ich hätte mir JOY wahrscheinlich trotzdem angesehen. Und hoffentlich ohne anschließend eine derartig unsympathische, unlustige "Bruhaha-es-ist-ein-Wischmopp-Film"-Polemik abzusondern wie der Rezensent der deutschen Zeitung Die Welt.
Zu behaupten, JOY beginne turbulent, ist eine Untertreibung. Vom Tonfall erinnert die erste halbe Stunde, in der wir Joys dysfunktionale Familie kennenlernen, an eine Sitcom auf Speed. Da hätten wir den dominanten Patriarchen-Papa (Robert De Niro), den singenden Ex-Ehemann, der seit zwei Jahren im Keller wohnt, weil er den Auszug noch nicht geschafft hat, die passiv-aggressive Halbschwester und die derangierte Mutter, die rund um die Uhr im Bett liegt und Serien guckt (ein netter Seitenhieb auf die traurige Binge Watching-Realität unserer Tage.)
Das ist amüsant, gar keine Frage. Aber wir wissen: David O. Russell kann Drama weit besser als Komödie. Deshalb wird die ausgelassen-chaotische Stimmung irgendwann kippen (müssen). Anders als im überschätzten AMERICAN HUSTLE, bei dem ich mich eigentlich nur noch an Christian Bales Bierbauch erinnere, kriegt der Regisseur die Wendung zum Drama hier rechtzeitig hin.
Die zweite Filmhälfte ist ein atmosphärisch dichtes Bio-Pic-Drama um eine Frau, die ums Überleben kämpft. Nicht Hunger Games-mäßig, sondern Winter's Bone-mäßig. Der Überlebenskampf ist wirtschaftlicher Natur, die Feinde sind kriminelle Geschäftspartner, dubiose Anwälte und auch geldgierige Familienmitglieder (arger Auftritt von Isabella Rossellini). Das große Versprechen von Glück und Wohlstand für alle gilt längst nicht mehr. Der Mythos vom American Dream wird (möglicherweise unbeabsichtigt?) heftig angekratzt, heftiger jedenfalls, als man es von einem 60 Millionen Dollar teuren Film erwartet hätte.
Jennifer Lawrence trägt den Film mit der ihr eigenen Kraft und Präsenz. Grundsätzlich muss ich der geschätzten Kollegin Monika zwar recht geben, dass Jennifer Lawrence zu oft für Rollen eingesetzt wird, für die sie eigentlich zu jung ist. Aber dass sie darin besteht, spricht doch sehr für sie.
Nach dem enttäuschenden AMERICAN HUSTLE ein neuer David O. Russell-Jennifer Lawrence-Bradley Cooper-Film, der rundum überzeugt. Sitcom auf Speed in der ersten Hälfte, dichtes, emotionales Drama in der zweiten.
Ich hasse heruntergedummte deutsche Verleihtitel, aber "Alles außer gewöhnlich" trifft auf den Film durchaus zu.