BIOPIC/DRAMA: USA, 2011
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Naomi Watts, Armie Hammer, Judi Dench
In den 60er-Jahren diktiert der FBI-Direktor J. Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio) einem jungen Agenten seine Memoiren. Er schildert aus seiner Sicht die Entstehung und Entwicklung des FBI und seinen Aufstieg zu dem vielleicht mächtigsten Mann des Landes.
J. Edgar Hoover war 48 Jahre lang der Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI), welches erst unter Hoover zu der mächtigen Organisation wurde, welche sie heute ist. Nicht umsonst bezeichnen manche den FBI sogar als eine Art von Staat im Staat. Hoover selbst wird der Ausspruch zugeschrieben: "Mir ist egal, wer unter mir Präsident ist.". Dass Hoover unter acht verschiedenen US-Präsidenten ununterbrochen im Amt blieb, obwohl er sich z.B. mit den Kennedys überhaupt nicht verstand, lag anscheinend im Wesentlichen daran, dass er über alle für ihn potenziell gefährlichen Personen Geheimdossiers anlegte, wodurch selbst die Staatsoberhäupter des eigenen Landes erpressbar wurden.
Auch ansonsten gilt die einstige amerikanische Ikone heute mehr als ein geschickter Manipulator, der für die ersten Schritte der schleichenden Umwandlung der USA in einen Überwachungsstaat verantwortlich war. Darüber hinaus ist J. Edgar Hoover eine bis heute rätselhafte Persönlichkeit geblieben. Er galt als ein Einzelgänger und als ein Pedant, der jeden Tag zur gleichen Zeit die gleichen Speisen zu sich nahm. Doch sein Privatleben blieb bis zum Ende streng geheim. Man munkelt, er sei ein verkappter Homosexueller und heimlich mit seinem Stellvertreter Clyde Tolson leiert gewesen. Dies wäre zu Hoovers Zeit und gerade auch in seiner Position sicherlich nicht nur in den USA schon sehr problematisch gewesen.
Doch wirklich wissen tut man nur sehr wenig über diese ebenso mächtige wie schillernde Persönlichkeit. Und dies wird sich auch nicht wirklich ändern, nachdem man Clint Eastwoods neuen Film J. EDGAR angesehen hat: Auf der einen Seite liegt eine der Stärken dieses Biopics genau darin, dass uns der Film die Subjektivität und somit auch die Unsicherheit in Bezug auf Hoovers Leben im speziellen und somit auch in Hinblick auf erlebte Geschichte im allgemeinen auf recht clevere Art sehr deutlich macht. Doch auf der anderen Seite versucht das von Dustin Lance Black geschriebene Drehbuch dann doch die exzentrische Persönlichkeit Hoovers zu ergründen und kommt dabei leider nicht wesentlich über Allgemeinplätze und Küchenpsychologie hinaus.
Und wie im amerikanischen Mainstreamkino zur Zeit allgemein üblich, versucht J. EDGAR seinen tatsächlichen Mangel an inhaltlicher Tiefe dadurch zu verschleiern, dass er uns mit einem Ereignishagel zuzuballern versucht, der uns gar nicht erst groß zum Nachdenken kommen lassen will. Aber da ein reines Abhaken der einzelnen Stationen von Hoovers beeindruckender Karriere dann doch zu banal wäre, um auch noch ein Arthouse-Publikum für sich einzunehmen, springt der Film möglichst wild in der Chronologie herum.
Dies soll den Zuschauer beeindrucken und beschäftigt halten, damit er nicht über den tatsächlichen Mangel an wirklich interessanten Informationen nachzudenken versucht. Auch dies ist ein inzwischen bereits zur Genüge erprobtes Mittel des Mainstreamkinos, welches man von daher auch in einem typischen Hollywood-Biopic erwarten kann. Dass jedoch auch das völlig zu Recht oft gelobte "Qualitätskino" Clint Eastwoods, also des vielleicht letzten klassischen Autorenfilmers der USA, auf diese Mittel zurückgreift, hat mich persönlich dann doch schon ein wenig enttäuscht.
So zeigt eine der "Schlüsselszenen" des Films, wie der junge Hoover seiner späteren lebenslangen Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts) in der Kongressbibliothek einen erfolglosen Heiratsantrag macht. Der Film konzentriert sich hierbei insbesondere auf die Ungeschicklichkeit des Antrags und suggeriert im Folgenden, dass diese entweder mit Hoovers verdrängter Homosexualität im Zusammenhang steht oder dass seine Homosexualität eventuell sogar eine Folge dieser für Hoover wohl recht peinlichen Angelegenheit sein könnte. Da kann sich eigentlich jeder Zuschauer je nachdem, wie konservativ oder liberal er gerade ist, die für ihn passendere Erklärung herauspicken.
Aber egal, was man von solchen Pseudo-Erklärungen auch immer halten mag, viel mehr gestört hat mich bei dieser Szene, dass die Tatsache, dass Hoover anscheinend ein ganz neues Karteisystem für die Kongressbibliothek entwickelt hat, hier nur so nebenher erwähnt wird. Auf Wikipedia habe ich dann gefunden, dass Hoover sich sein gesamtes Jurastudium mit einer Anstellung in dieser Bibliothek finanziert hat. Da der gesamte Umbau des FBI stark mit den von Hoover veranlassten Systematisierungsmaßnahmen zu tun hatte, wäre es hier wirklich interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, weshalb Hoover bereits als Student so sehr an solchen Arbeiten interessiert war. Doch dies ist eine der vielen Fragen, die J. EDGAR uns nicht beantworten kann.
Eine der großen Stärken des Film liegt eindeutig in der schauspielerischen Glanzleistung, welche Leonardo DiCaprio als Edgar J. Hoover vollbringt. Wie er den FBI-Direktor über die Jahrzehnte hinweg mit all seinen verschiedenen Ticks äußerst facettenreich verkörpert, ist schlicht und ergreifend beeindruckend. Hierdurch rückt J. EDGAR auch automatisch in die Nähe von Martin Scorseses AVIATOR (2004), in welchem DiCaprio den ebenfalls äußerst exzentrischen Howard Hughes spielte.
Doch auch jenes Biopic hatte bereits die Schwäche, dass es zwar äußerst deutlich die Howard Hughes nachgesagten Ticks zur Schau stellte, hierbei jedoch nicht wirklich viel erklären konnte. So wird der damals reichste Mann Amerikas am Ende von AVIATOR als völlig unzurechnungsfähiger Verrückter gezeigt. Doch wenn dies wirklich den Tatsachen entsprochen haben sollte, dann bliebe die Frage, wieso Hughes sein Imperium auch weit über diesen Zeitpunkt hinaus weiter ausbauen konnte.
Auch das Ende von J. EDGAR ist fast schon grotesk geraten. Nicht nur, dass das bis dahin insgesamt doch recht solide Drehbuch auf einmal in typischen Hollywood-Kitsch der tränendrüsendrückenden Art umschlägt. Allein schon, was da an Maske aufgefahren wird, erinnert schon fast ein wenig an den ebenso kitschigen wie tränendrüsendrückenden DER SELTSAME FALL VON BENJAMIN BUTTON (2008), der Film mit welchem sich auch David Fincher erstmals vollkommen dem Mainstreamkino ergab.
Clint Eastwoods Biopic J. EDGAR über den Mann, der fast 50 Jahre das FBI geleitet hatte ist kein schlechter Film geworden. Insbesondere Leonardo DiCaprio kann in in der Hauptrolle als Hoover vollkommen überzeugen. Aber an dem hohen Standard gemessen, welchen man ansonsten bereits seit langen von Eastwood gewöhnt war, ist sein neuester Film dann leider doch eine kleine Enttäuschung geworden. Denn wie so viele Hollywoodfilme der letzten Jahre versucht auch J. EDGAR seine oftmals mangelnde inhaltliche Tiefe durch rein formelle Spielereien zu kaschieren. Positiv ausgedrückt bedeutet dies: Trotz eindeutiger Überlänge bleibt das Mysterium um J. Edgar Hoover auch über das Filmende hinaus weitestgehend gewahrt.
Dies ist im übrigen ein Film, den man sich bei Gelegenheit unbedingt im Originalton ansehen sollte. Denn ein großer Teil der besonderen Qualität von Leonardo Di Caprios Performance liegt darin, wie er Hoovers sehr speziellen Sprachstil imitiert. Dieser Teil seines Spiels scheint in der deutschen Synchro leider komplett verloren gegangen zu sein.