MYSTERY: F/B/GB, 2004
Regie: Lucile Hadzihalilovic
Darsteller: Zoé Auclair, Lea Bridarolli, Bérangère Haubruge, Marion Cotillard,
Ein abgeschiedenes Internat. Mitten im Wald, umgeben von einer hohen Mauer. Dort werden junge Mädchen bis zur Pubertät geschult: Sie lernen Kunstturnen, Ballett tanzen und Biologie. Und sie dürfen das Internat erst verlassen, wenn sie alt genug sind. Nur einmal im Jahr kommt eine alte Dame und wählt ein junges Mädchen aus, das die Schule früher verlassen darf. Doch was geschieht dann?
Der Anfang ist das Ende.
Zuerst sieht man einen langen Titelnachspann. Dann bricht die Kamera aus dem Strudel hervor und erwacht mit Iris, einem jungen Mädchen. Iris wird zu Beginn in die strengen Regeln des Internats eingeführt und erhält rote Haarbänder. Diese Haarbänder wechseln die Farbe, je älter die Mädchen werden.
Und Iris lernt, keine Fragen zu stellen.
Dabei gibt es Fragen genug. Wohin gehen die älteren Mädchen abends? Warum darf niemand nach Hause? Was ist hinter der Mauer? Warum wird so viel Wert auf die körperliche Entwicklung gelegt?
Die Geschichte wird später weitererzählt von Alice und zum Schluss von Bianca. Einige Fragen werden beantwortet, etwa wohin die Mädchen abends gehen. Doch hinter jeder Antwort stehen neue Fragen. Das Mysterium vollzieht eine Metamorphose, öffnet sich etwas und gibt einen Blick frei, verpuppt sich dabei gleich erneut. Das Rätsel bleibt verschlossen. Unergründlich.
Ein entscheidendes Rätsel ist natürlich die Metamorphose der Mädchen selbst. Sie bleiben bis zur Entpuppung - also bis zur Entdeckung der eigenen Weiblichkeit - in einer abgeschlossenen Welt.
Die Frage muss daher nicht nur lauten, warum sie gefangen gehalten werden. Werden sie überhaupt gefangen gehalten? Oder werden sie eher geschützt? Die Welt draußen scheint gefährlich zu sein. In einer Szene hört man von der anderen Seite der Mauer Schüsse.
Frank Wedekinds literarische Vorlage Mine-Haha oder: Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen blieb unvollendet. Dadurch blieb auch vieles ungesagt, was vielleicht hätte gesagt werden sollen. Vielleicht fand er dafür keine Worte. Aber Geheimnisse haben immer etwas anziehendes. Etwas hypnotisches. Jedes Geheimnis, das gelüftet wird, verliert seine Unschuld.
Und je unschärfer die Antworten sind, desto mehr muss man hinschauen. Es ist genau diese Unschärfe, die solche starken und symbolkräftigen Bilder liefert.
Bilder aus dem Unterbewusstsein. Voller Magie.
Am Ende steht ein Anfang. Ein Bild über die Urkraft und Freude am Leben. Und unmissverständlich.
Ein Gedicht.
Ein Mysterium.
Eine Meditation.
Ein Triumph des Unausgesprochenen.
Pure Poesie.