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Im Keller

Im Keller

DRAMA/DOKU/GROTESKE: A, 2014
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Diverse Keller-Besitzer

STORY:

Ulrich Seidl besucht die Österreicher in ihren Kellern und trifft auf Menschen, die ihre Leidenschaften im Verborgenen ausleben.

KRITIK:

Österreich und seine Keller. Der "engagierten" Chronik-Berichterstattung über spektakuläre heimische Kriminalfälle ist es zu verdanken, dass das biedere, eingezäunte und unterkellerte Einfamilienhaus in der niederösterreichischen Provinz zu einem mythischen Ort des Grauens wurde. Fast schon einer Liga mit desolaten amerikanischen Trailerparks oder viktorianischen Spukhäusern in britischer Winternebelsuppe.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Ulrich Seidl, der gnadenlose Bauch-und-darunter-Abbilder des heimischen Kinos, mit der Kamera in österreichische Keller - gibt es eigentlich ein schöneres Sinnbild für die sprichwörtlichen Abgründe der heimischen Seele? - hinabsteigen würde. Was er da alles zu Tage fördert, ist stellenweise zum Schreien komisch, oft - im Wortsinne - schmerzhaft, fast immer beklemmend und - nun ja: diskussionswürdig.

Erraten, wir sind bei den viel diskutierten Kellernazis. Sehr österreichisch, das Ganze, vor allem auch das erschütternd niedrige Niveau der Diskussion. Ich rede noch gar nicht von der einschlägigen rechten Forentrollerei, die ich mir schon aus Rücksicht auf meinen Magen nicht antue. Das muss ich auch gar nicht. Ich bemerke an mir auch zunehmend allergische Reaktionen gegen das andere Ende des politischen Spektrums: Gegen eine bestimmte, sich linksliberal und aufgeklärt wähnende Gemeinde von Neo-Spießern nämlich, die sich im Namen von Vernunft, moralischer Überlegenheit und Political Correctness berufen fühlen, in Ungnade gefallenen Regisseuren oder gleich dem Kulturgut Film als Ganzes eine reinzusemmeln. Im harmlosen Fall schneiden sie "diskriminierende" Passagen aus Kinderfilm-Klassikern, im schlimmeren Fall schreien sie nach Subventionsstreichung, Berufsverbot oder gleich nach dem Strafgesetzbuch. Wer weiß, hat Herr Seidl die Nazis am Ende gar zur "Wiederbetätigung" angestiftet?

Das ist natürlich Blödsinn. Wiederbetätigung sieht anders aus und wird durch das NS-Verbotsgesetz genau definiert. In einem Punkt haben die Berufs-Empörten aber dennoch recht: Anders als "Hundstage", "Import/Export" oder die "Paradies"-Trilogie weist "Im Keller" keine Spielfilmhandlung auf; der Film ist eindeutiger als "Dokumentation" einzuordnen als seine Vorgänger. Eine künstlerische, inszenierte Doku zwar, aber eben doch eine Doku. Und so gesehen ist es auch in Ordnung, dass die Aktivitäten der trinkfreudigen Nazi-Nostalgiker nicht ohne Konsequenzen blieben. Halbkoma-Saufen vor liebevoll drapierten Nazi-Devotionalien: Damit kann man sich eine Karriere als Gemeinderat abschminken. Sogar im Burgenland.

Aber reden wir nicht mehr von diesen Leuten. Sie sind tragische Figuren, dumme Würsteln, die nicht wissen, was sie tun. Unendlich viel interessanter und berührender als die weichbirnigen Nazi-Trankler war die masochistische Frau am Ende des Films. Wie sie - als Bondage-Paket verschnürt - im Interview erzählt, wie sie sich aus der Hölle einer gewalttätigen Ehe rettete, indem sie dem Mann, der sie im Suff immer und immer misshandelte, ein Messer in den Bauch rammte, und wie sie nun ihr Misshandlungstrauma mit Arbeit bei der Caritas und sadomasochistischen Praktiken aufarbeitet, das ist groß. Das verdient Respekt und Bewunderung.

Wie der ganze Film.

Im Keller Bild 1
Im Keller Bild 2
Im Keller Bild 3
Im Keller Bild 4
FAZIT:

Kellerparty mit Ulrich Seidl. Zwischen SM-Gerätschaften, Baby-Puppen, Schießständen und Nazi-Devotionalien wird im Wortsinne tief in die Abgründe der österreichischen Seele geblickt. Streckenweise wirklich schmerzhaft, dann wieder unglaublich komisch, und so beklemmend wie man es von einem Seidl-Film eben erwartet.

In diesem Sinne: "I sauf scho sehr vü."

WERTUNG: 8 von 10 Hitlerbilder zur Hochzeit
Dein Kommentar >>
Wolfgang | 02.10.2014 12:50
ich habs nicht kapiert: ist es nun wirklich eine rein
inszenierte Doku ? Die Darsteller wirken im Trailer fast
zu glaubwürdig.
Harald | 02.10.2014 21:53
Schwierig. Was hier "echt" ist und was inszeniert, weiß wohl nur der Regisseur selbst. Ich denke, diese Vermischung von Realität und Inszenierung ist ja das Markenzeichen von Ulrich Seidl. Und das macht seine Filme auch so einzigartig. Dass Menschen, die es wirklich gibt, Dinge nach Drehbuch tun, die sie auch in Wirklichkeit tun oder tun würden, wenn sie die Gelegenheit hätten.
Natürlich hilft der Regisseur nach: Manche Keller wurden ja extra für den Film eingerichtet. Der Nazi-Keller aber nicht, den gab es genau so vorher schon, und er war im ganzen Ort bekannt, wie Seidl beteuert.
Ausführliche Geschichte hier:

derstandard.at/2000005945985/Es-ging-darum-die-Normalitaet-zu-thematisieren
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