OT: Tras el cristal / In a glass cage
HORROR/DRAMA: E, 1986
Regie: Agustà Villaronga
Darsteller: Günter Meisner, David Sust, Marisa Paredes
Der SS-Mann Klaus, der in einem Konzentrationslager grausame "medizinische" Experimente an kleinen Kindern durchführte und dabei seine sadistischen und pädophilen Neigungen entdeckte, flüchtet kurz vor Kriegsende nach Spanien. Auch dort missbraucht und ermordet er kleine Buben - bis er aus Scham und Selbsthass vom Dach eines Hauses springt. Doch der Selbstmordversuch misslingt - und Klaus liegt vollständig gelähmt in einer "eisernen Lunge". Eines Tages verschafft sich ein mysteriöser Fremder Zutritt zu seinem Zimmer, lässt sich als Krankenpfleger engagieren und beginnt ein perverses Spiel mit dem PatientenÂ… ...
BILDSTÖRUNG traut sich was: TRAS EN CRISTAL / IM GLASKÄFIG, dem ersten Spielfilm des spanischen Filmemachers Agustí Villaronga, eilt bekanntlich (?) der Ruf als einer der kontroversesten Werke der jüngeren Filmgeschichte voraus. Oft in einem Atemzug mit Pasolinis DIE 120 TAGE VON SODOM genannt, nimmt sich auch IM GLASKÄFIG der eher schwer verdaulichen Themen Sexualität, Sadismus, Machtmissbrauch und Menschenverachtung im Faschismus an.
Doch anders als Pasolini scheint Villaronga keine politischen Absichten zu verfolgen; TRAS EN CRISTAL ist kein "Faschismus-Abrechungsfilm". Als Inspiration für die Figur des pädophilen Serienkillers Klaus diente vielmehr die Literaturvorlage "Gilles de Rais, Leben und Prozeß eines Kindermörders" von Georges Bataille. Ein Autor, der, wie uns Wikipedia verrät, sich "für das Opfer, die Transgression (Grenzüberschreitung, die eine innere Erfahrung evoziert) und die Verschwendung, den Rausch, die Tabu- und Grenzbereiche menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns interessiert."
Klassische Kinothemen also. Zumindest für das Kino, wie ich es versteheÂ….
Tabus werden in TRAS EN CRISTAL tatsächlich jede Menge gebrochen. Doch der Tabubruch wirkt zu keiner Sekunde kalkuliert oder aufgesetzt - im Gegenteil, selbst vehemente Gegner des Films kamen nicht umhin, Villarongas Arbeit künstlerischen Wert zu attestieren. Was aber einen Berlinale-Besucher seinerzeit nicht daran hinderte, den Regisseur während der Filmvorführung niederzuschlagen (!).
Was für ein Film ist IM GLASKÄFIG nun wirklich? Ein perverses Kammerspiel, ein abgründiges Psychodrama, ein künstlerisch ambitionierter Serienkiller-Film? Oder letztlich doch nur eine "Liebesgeschichte", wie der Regisseur im höchst lesenswerten DVD-Booklet nicht ganz ohne Ironie anmerkt? Aber auch Vergleiche mit den italienischen Giallo-Filmen von Mario Bava bis Dario Argento fasst Villaronga als Kompliment auf. Ja, er liebe das Horrorkino dieser Zeit, lässt er im langen Interview in der Extras-Sektion dieser DVD verlauten. Guter Mann!
Dennoch: Gorebauern und Torture-Porn-Freaks werden mit dem GLASKÄFIG keine Freude haben. Der Film folgt zwar den Regeln des Serienkiller-Films, weigert sich aber, die Folter- und Mordszenen in der heutzutage üblichen Drastik auszuschlachten. Seine verstörende Wirkung bezieht der Streifen viel mehr aus dem bizarren Setting als aus spekulativen Grausamkeiten.
Ein wahrer Klassiker des kontroversen Kinos, der auch bestens in die beliebte gleichnamige DVD-Reihe gepasst hätte. Das junge deutsche DVD-Label BILDSTÖRUNG hat sich mit dieser mutigen Veröffentlichung selbst übertroffen. Mit ausführlichem Booklet und eigens produzierten Extras ein absoluter Pflichtkauf für Freunde extremer FilmerfahrungenÂ….