HORROR / EUROCULT: I, F, 1972
Regie: Riccardo Ghione
Darsteller: Marina Malfatti, Enzo Tarascio, Daniela Caroli, Nino Castelnuovo
Eine reiche Familie sammelt Randgrüppler wie Hippies, Prostituierte und Stadtstreicher ein und lädt sie zum Müßiggang in die Räumlichkeiten ihrer feudalen Villa. Doch die Motive der Familie sind alles andere als ehrbar, die Hintergedanken finster. Und heimlich, still und leise lichten sich die Reihen der unterprivilegierten Gäste...
Ein Film wie IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO ist heutzutage so unvorstellbar wie ein Telefon mit Kabel, ein Porno mit Schamhaaren oder das Herumflanieren auf der Kaiserstraße mit einem klobigen, "kassettenbetriebenen" Walkman an der Hüfte.
Da ist das moderne Kino. Die Blockbuster. Das Schneller-Lauter-Teurer- Dreidimensionaler. Multimillionenbudgets, Mega-Effekt-Feuerwerke. Da sind die Stakkatoschnitte. Im Minutentakt müssen neue Schauplätze eröffnet und diese dann mit atemloser, Adrenalin-getränkter Action gefüllt werden. Hochgeschwindigkeitskino.
Dagegen ist ein Film wie IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO ein Gruß aus der Anästhesie. Das Äquivalent zur Chillout-Zone. Filmgewordene, wabernde Entspannungsmusik. An einer Stelle genehmigen sich die beiden Hauptprotagonisten genußvoll einen Joint. IL MACCHIATO DI ROSSO ist dieser Joint.
Die Siebziger haben gerade begonnen, der Sommer von `69 ist noch nicht vorbei. Die Blumenkinder sind noch unterwegs. Da sind die Randgruppen. Die Hippies, der Penner, das Zigeunermädchen, die Prostituierte. Kurzum der Abschaum in den Augen der vermeintlichen Elite.
Diese Elite wird hier vertreten von einer Familie. Mann, Frau, Bruder/Schwager. Reich, dekadent, faschistisch. Die Herren (und Damen) dieser Welt. Vampire. Perverse. Einer Wagner-Oper lauschend. Und da ist dieser merkwürdige Roboter...- und das alte, grimmige Soylent Green-Prinzip aus JAHR 2022...DIE ÜBERLEBEN WOLLEN...
Der Bruder/Schwager verlässt die Villa. Fährt durch die Straßen. Ein Raubtier auf heimlichem Beutefang. Er gabelt den Abschaum auf: Das Hippie-Pärchen, den Penner, die Nutte und das Zigeunermädchen. Nimmt sie mit in die Villa.
Das Blut gluckert in die edlen Flaschen; die Rosen im hübsch kultivierten Garten blühen in einem phantastischen Rot. Der Roboter ist satt. Der Rubel rollt.
Doch der gute alte Nino (DJANGO- SEIN GESANGBUCH WAR DER COLT, STRIP NUDE FOR YOUR KILLER) Castelnuovo -smart wie (fast) immer- kommt den dunklen Machenschaften der betuchten wie verkommenen Familie langsam auf die Schliche. Die ahnungslosen Gäste indes hängen noch immer beschwipst und arglos in ihrem komfortablen Spinnennetz.
Und heimlich still und leise in der Nacht - lichten sich ihre Reihen.
Horrorfilm? Science Fiction? Murder Mystery? Rabenschwarze Gesellschaftssatire / Sozialkritik? Sicherlich ist IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO von allem etwas, aber in erster Linie sehr exzentrisch. Regisseur Riccardo Ghione setzt seine Prioritäten gänzlich anders als das in Genrefilmen üblicherweise der Brauch ist. Ihm ist nicht wirklich an Terror gelegen. Auch nicht an Suspense. Ab und an setzt allerdings eine gewisse, kafkaeske Note ein; das Gefühl einer nicht wirklich fassbaren, von daher unergründlichen Bedrohung. Es gibt aber auch köstlich-komische Momente wie etwa die Enthüllung einer weiteren dekadenten Spielerei, die ich an dieser Stelle einfach mal, ähem, "Vaginalpforte" nenne.
IL PRATO MACCHIATO DI ROSSO ist ein Film, der ungeachtet irgendwelcher Genre-Korsetts, sein eigenes Ding durchzieht. Er hofiert weder die Sehgewohnheiten noch die Spannungsbedürfnisse des Publikums. Das macht ihn speziell; irgendwie einmalig. Und zu einem interessanten Filmerlebnis für seine ganz eigene (und sicherlich recht überschaubare) Nische.
Anyway, nach dem zweiten Durchlauf hat sich mir der Film endlich offenbart. Die Musik von Teo Usuelli - insbesondere das Thema während Alfieros Autofahrt- ging allerdings schon beim ersten Mal ins Ohr.
Soylent Green im italienischen Sommer der Liebe...- Eine filmische Merkwürdigkeit, die insbesondere (oder besser: ausschließlich) den Gourmets obskurer 70er Jahre-Exzentrik munden dürfte. Um hier bestehen zu können, muss man mit völliger Entschleunigung klarkommen, eine Schwäche fürs (psychotronische) italienische Kino haben und man darf weder vor kiffenden Hippies noch vor blutzapfenden Robotern zurückschrecken. Ach ja, einen guten Tropfen (blutroten) Wein sollte man ebenfalls zu schätzen wissen. Weird as fuck, wie meine Oma zu sagen pflegte, aber irgendwie gut.