SCIENCE-FICTION: CSSR, 1963
Regie: Jindrich Polák
Darsteller: Radovan Lukavský, Zdenek Stepánek
Im Jahre 2163 begibt sich die Ikarie XB 1 auf eine lange Reise zum Alpha Centauri, um dort einen erdähnlichen Planeten zu untersuchen. Anfangs lenkt sich die Besatzung noch mit Sport und Unterhaltung vom eintönigen Alltag ab, bald jedoch sind die Spannungen nicht mehr zu übersehen. Noch bevor man das Ziel erreicht, entdeckt man ein Zeugnis aus der eigenen, militärischen Vergangenheit. Und ein tödliches Gas mit den Namen Tigger Fun...
...und damit spannt IKARIE XB 1 den Bogen von einer erdachten Zukunft zu unserer Gegenwart und hält uns einen sehr pessimistischen, nachdenklichen Spiegel vor. Es ist ein kurzer Weg von Auschwitz zu den Massenvernichtungswaffen zur Zeit des kalten Kriegs. IKARIE XB 1 ist von dem üblichen Sci-Fi-Trash jener Jahre soweit entfernt wie Alpha Centauri von der Sonne und Science-Fiction in ihrer schönsten, reinsten Form.
Nun genießen die sozialistischen Science-Fiction-Filme der 50er und 60er Jahre ohnehin den Ruf, ernster angelegt als ihre ausschließlich auf Unterhaltung abzielenden amerikanischen Pendants. Sie waren zudem in der Regel recht aufwändig produziert. Schließlich galt es, mit dem Da-schau-her-Zeigefinger den Sieg der sozialistischen Utopie zu verbildlichen, und dafür konnte der Rubel auch schon mal rollen.
Da die Geschichte aber gezeigt hat, dass es hinter dem eisernen Vorhang nicht nur Gutmenschen gab, haben die osteuropäischen Fiktionen rückblickend betrachtet einen ganz eigenen, etwas weltfremden Charme. Hiervon ist IKARIE XB 1 ungewöhnlich frei. Die Besatzung ist international und arbeitet friedlich zusammen. Die Konflikte innerhalb der Mannschaft entstehen nicht durch die Herkunft, sondern durch Stresssituationen, Fehleinschätzungen und den unterschiedlichen Charakteren.
Dazu kommt, dass IKARIE XB 1 sogar wissenschaftlich halbwegs genau ist. Entsprechend Einsteins Gesetzen vergeht die Zeit bei etwa 1/3 Lichtgeschwindigkeit auf dem Raumschiff langsamer als auf der Erde. So werden die Besatzungsmitglieder kaum älter nach Hause kehren, aber dort auf um Jahre gealterten Angehörigen treffen. Partnerschaftskonflikte sind so vorprogrammiert.
Trotz aller seiner Schauwerte und den Errungenschaften der Zukunft, die er beiläufig präsentiert, behält er den Fokus auf den Menschen. IKARIE XB 1 ist kein Actionfilm, es gibt keine Weltraumschlachten, es gibt keine Aliens zu bekämpfen. Er ähnelt eher einer - ja, der Vergleich ist gewollt - Odyssee im Weltraum und strahlt bisweilen eine gewisse Lethargie aus, für die er im letzten Drittel sogar eine Begründung liefert. Wirklich spannend wird er nur an einer Stelle - der gut zehnminütigen Sequenz, in der die Besatzung auf einen verlassenen Außenposten des 20. Jahrhunderts stoßen. Die gehören dafür zu den atemberaubendsten Momenten der Geschichte des Science-Fiction-Films.
Seinen Aufstieg zum Olymp des Science-Fiction-Films verdankt er aber weniger seinem Inhalt. IKARIE XB 1 sieht einfach fantastisch aus. Er ist hervorragend fotografiert und arbeitet stark mit Kontrasten und Tiefenschärfe. Sein Look ist psychedelisch, seine Bildgestaltung avantgardistisch: Figuren werden wie bei MARIENBAD im Raum positioniert und arrangiert, was man von einem Science-Fiction-Film der 60er Jahre in dieser ansprechenden Form sicher nicht zwingend erwartet.
Selbstverständlich ist auch IKARIE XB 1 gealtert. Mit heutigen Augen betrachtet scheint der Film in manchen Sequenzen immer noch seltsam starr in den 50er Jahren verhaftet zu sein. Auch die groteske, aber sehr spaßige Tanzsequenz ist natürlich ihrer Zeit geschuldet. Sieht man aber von kleinen Details ab, die schon 1963 nicht mehr ganz up to date waren, so besticht vor allem die Kommandobrücke mit ihrem wegweisenden, nüchtern stylishen Interieur der 60er Jahre.
Es ist zudem schwer vorstellbar, dass Stanley Kubrick diesen Film nicht gesehen haben soll. An zu vielen Stellen blitzt 2001 als Deja-Vu-Erlebnis auf. In vielen Momenten glaubt man, im Vorgängermodell der "Discovery" zu sein. Selbst ein Sternenkind gibt es schon. Ein größeres Kompliment konnte Kubrick dem Film kaum machen.
IKARIE XB 1 ist ein Glücksfall osteuropäischer Science-Fiction, deren intelligente Geschichte jedoch nicht von Technikwundern, sondern von Menschen erzählt. Zugleich ist es der Aufbruch zu neuen Ufern, der Stanley Kubricks sicher als Inspirationsquelle für 2001 diente. Dass Roger Corman dem Film für die US-Auswertung ein neues Ende anhängte und damit die Aussage auf den Kopf stellte - geschenkt. Auch er wusste wohl, dass er die beste Space Opera in den Händen hielt, die bis dahin das Licht der Leinwand erblickte.