SCIENCE-FICTION: GB, 2015
Regie: Ben Wheatley
Darsteller: Tom Hiddleston, Jeremy Irons, Sienna Miller, Luke Evans, Elisabeth Moss
Als der frisch geschiedene Neurochirurg Dr. Robert Laing (Tom Hiddelston) in ein futuristisches Hochhaus am Stadtrand von London zeiht, ahnt er noch nicht, welche Abenteuer er dort erleben wird: Stromausfälle. Seitensprünge. Schlägereien. Sexorgien. Drogenräusche. Einen Sturz aus dem 39. Stockwerk. Und das ist erst der Anfang.
Ich darf an dieser Stelle aus meinem Facebook-Timeline zitieren:
HIGH-RISE: Was für ein saugeiler Mindfuck. Ein einziger herzhaft gestreckter Mittelfinger gegen jede wie auch immer geartete Publikumserwartung. Am Ende bin ich mehr oder weniger allein im Saal gesessen. Großartig.
Aber der Reihe nach.
Wenn ein Regisseur, Ben Wheatley heißt er, dessen Ouvre so unterschiedliche Filme wie den wahnsinnigen Horror-Thriller KILL LIST, die pechschwarze Urlaubs-Komödie SIGHTSEERS und den - nun ja - experimentellen Historienfilm A FIELD IN ENGLAND umfasst, sich an einen Roman des dystopischen Ausnahmeautors J.G. Ballard wagt, ist mit allem zu rechnen.
Aber sag das mal dem eh schon sehr schütteren Publikum, das sich an diesem schwülheißen Samstag Abend ins Wiener Village Kino verirrt hat. Je länger der Film lief, desto mehr Leute suchten das Weite. Gegen Ende hin, als mir die schockgefrorene Portishead-Version von Abbas "S.O.S" eine amtliche Gänsehaut bescherte, war der Saal so gut wie leer.
Vielleicht sollte an dieser Stelle eine Warnung ausgesprochen werden: Nein, HIGH-RISE ist nicht gerade das, was man gemeinhin einen Crowd-Pleaser nennen würde. Auch wenn der Cast von Spektakelfilm-Stars wie Luke Ewans (Clash of the Titans, The Fast and The Furious etc.) oder James Bond in Spe Tom Hiddelston geschmückt wird. Und der Trailer kurzweilige Science Fiction-Unterhaltung im schicken Seventies-Retro-Style verspricht.
Letzteres Versprechen wird auch eingelöst. Das Stilbewusstsein, das Ben Wheatley hier an den Tag legt, ist definitiv faszinierend. Schönheit durch Strenge lautet das Motto, angetrieben von einem mitreißenden Soundtrack, mit der erwähnten Portishead-Nummer als gänsehauterzeugenden Höhepunkt. Wie schon Nicolas Winding Refns (ansonsten keineswegs vergleichbarer) THE NEON DEMON wird auf Drehbuchkonventionen und Storytelling nonchalant gepfiffen. Die Geschichte wird der künstlerischen Vision untergeordnet. Film als herausfordernde Konzeptkunst. Mag sich prätentiös anhören und ist es möglicherweise auch. Aber ist es nicht die Pflicht der Kunst, das Publikum fucking nochmal herauszufordern?
Es ist nicht überraschend, dass ein Film, der in den Seventies spielt, ausgiebig das Kino dieser Ära zitiert: Cronenbergs SHIVERS - die Mutter aller Hochhaus-Horrorfilme - lässt natürlich herzlich grüßen. Ben Wheatley mag filmisch der strengen Kammer zugetan sein und die Kapitalismuskritik der dystopischen Romanvorlage blutig ernst meinen (er schreckt nicht einmal vor einem Margaret Thatcher-Zitat zurück), doch Kind von Traurigkeit ist er keines. Den anarchischen Spirit der guten alten französischen "Ich-sch**ß-auf-die-bürgerliche-Gesellschaftsordung"-Filme wie THEMROC oder DAS GROSSE FRESSEN hat er ebenso ins Herz geschlossen wie das dystopische Sci-Fi-Kino dieser Zeit. Und so blitzt immer wieder ein ätzender Humor durch die ausgesprochen lustvoll zelebrierten Szenarien des Chaos, der Zerstörung und der Sex-und Drogenorgien. Ein richtig saugeiler Mindfuck eben.
Schöner Wohnen mit Ben Wheatley. Der unberechenbare britische Regisseur verwandelt den als unverfilmbar geltenden Roman von J.C. Ballard in ein als Sci-Fi-Thriller getarntes Orgien-Mysterien-Theater mit Schauplatz Horror-Hochhaus. Love it or hate it, aber einen geileren Mindfuck werdet ihr Anno 2016 im Kino nicht mehr erleben. Versprochen.
In diesem Sinne: "Was machen wir mit dem Pferd?" - "Wir werden es essen."