OT: Les amours imaginaires
LIEBESDRAMA: KANADA, 2010
Regie: Xavier Dolan
Darsteller: Monia Chokri, Niels Schneider, Xavier Dolan, Anne Dorval, Anne-Élisabeth, Bossé Olivier Morin
Der homosexuelle Francis und Mary sind beste Freunde. Eines Tages begegnen sie dem wunderschönen Nick und verfallen ihm beide gleichermaßen.
Klingt französisch, oder? Ist es aber nicht. Nein, Les Amours Imaginaires ist ein kanadischer Film, aus der schönen Region Quebec. Ich hab mir doch gleich gedacht, was ist mit meinem geliebten Französisch passiert (klang das eben ein bisschen steirisch)? Hab ich mir heute früh die Ohren nicht gewaschen? Liegt es an der frühen Stunde? Pressevorführung um 9:30h? Da wird man ja erst zum Höhepunkt des Filmes wach. "Jeder Student, der etwas auf sich hält steht normalerweise zu Mittag auf, holt sich einen runter und legt sich dann wieder nieder", meinte ein Freund von mir einmal treffend. (Hey Harald, jetzt dürften wir gerade die letzten FPÖ-Wähler aus unserer Leserschaft verloren haben;-). Wie auch immer, da wird irgendwann mitten im Film ein Pullover in Dollar gekauft, da klingelte es endlich, gleich meinem Wecker ein wenig zuvor.
Wiedereinmal ein Versuch über die Liebe also. Das waren immer meine Lieblingsfilme, früher, als ich noch jung war. (Junge,) schöne, gebildete Leute und ihre Lebens- und Liebesproblemchen. Jules et Jim, Die Träumer, Was nützt die Liebe in Gedanken, Liebe mich wenn du dich traust, In the Mood for Love, Dunkelblaufastschwarz usw.
Jetzt habe ich Les Amours Imaginaires gesehen und dachte mir, meine Güte, erstaunlich kalt dieser Film, erstaunlich abgebrüht, und habe mich gefragt ob sich mein Blick über die Jahre verändert haben mag, oder ob dieser Film tatsächlich ganz schön viel Abgeklärtheit beinahe perfekt unter seiner (versucht) eleganten Bildsprache versteckt. Ja ein bisschen Wong Kar-Wai da, ein bisschen eigene Handschrift dort, ein bisschen zuviel Ästhetik an mancher Stelle, die einem dann ja herzlich egal war, weil man an den Figuren (noch) nicht dran war. Aber es könnte auch Absicht gewesen sein, denn die wahre Stärke dieses Films liegt in der Distanz zum Geschehen.
Ich weiß, es schickt sich nicht wissenschaftliche Terminologie an menschliche Schicksaale anzulegen, aber dieser Film macht vor allem eines deutlich: Das Leben ist (in der Tendenz) ein Zyklus. Ihr wisst schon, wie bei der Konjunktur. Expansion, Boom, Rezession, Depression, und wieder von vorne. Und wenn man einmal einen Schritt zurücktritt und sich das Weltentheater einmal ansieht, dann bleibt einem ja beinahe nichts übrig, als zu lachen über Sätze wie "Ich werde nie wieder so lieben"(und dabei zu risikieren wie ein lustfeindlicher Intellektueller des neunzehnten Jahrhunderts zu klingen). Dieses Wissen ist natürlich auch gefährlich, denn es nimmt einem die Naivität, die notwendig ist um zu lieben und letztlich auch um das Leben zu lieben.
Glücklicherweise gelingt es dem Film beides zu vereinen, er spielt den Zyklus durch, lässt seine Figuren aber in ihrem beschränkten Blickfeld lieben und leiden, himmelhoch jauchzen und zu Tode betrübt sein, lässt sie ihre Zigaretten (pseudocool) rauchen, ihre (im Grunde lächerlichen) Vorlieben ausleben, Vintagekleid hier, Strohhut da, Bauhaussessel dort, heute lass ich mir einen Bart stehen, das macht das Leben lebenswert, tralala...
Vielleicht tut es das, vielleicht liegt in diesen oberflächlichen Ritualen der tiefere Sinn begraden, der ehrliche Versuch seine Form in diesem Leben zu finden. Alles scheint sich zu wiederholen, alles ist austauschbar, aber dann kommen sie doch, im Leben wie in diesem Film, diese kleinen Gesten, die so wunderbar menschlich und einzigartig sind, dass sie ganze Tage, Wochen, Leben erfüllen können. Ja, die sich in diesen kleinen Gesten offenbarende Schönheit der menschlichen Sehnsucht gebannt auf die Leinwand ist auch diesmal wieder ein Grund sich aufzuraffen, den Tag zu umarmen, ins Kino zu gehen und voller Begeisterung über das Geschehene zu reden. Es steckt Leben im Kino, und es erinnert uns daran, dass auch Leben im Leben selbst steckt, selbst, wenn wir das manchmal vergessen. Wir müssen nur genau hinsehen. Und gutes Kino lehrt uns genau das.
Les Amours Imaginaires ist ein wunderschöner, eiskalter Film über Menschen, die zum Interieur im Zimmer ihres Lebens geworden sind. Da haben wir den wunderschönen mamormen David in der Eingangshalle, die elegante Vintagelampe in der Ecke, und den praktisch-verrückten Bauhausstuhl im Wohnzimmer, die sich alle gegenseitig gefallen wollen, die aber auch alle so herzlich gleichgültig zu sein scheinen, die einfach vor sich hinexistieren, ohne zu wissen was sie wirklich sind. Trotzdem verzückt uns ihr naiver Stolz, wahrscheinlich weil wir uns selbst wiedererkennen... Les Amours Imaginaires, ein Film der die Seele gleichzeitig zersetzt und bildet. Schön.