HORROR/THRILLER/DRAMA: USA, 1986
Regie: John McNaughton
Darsteller: Michael Rooker, Tracy Arnold, Tom Towles
Henry (Michael Rooker) arbeitet als Kammerjäger und bringt in seiner Freizeit Menschen um. Er bewohnt zusammen mit Otis (Tom Towles), der im Gegensatz zu ihm erst auf Bewährung aus dem Knast raus ist, eine kleine schäbige Wohnung in einem Arbeiterviertel von Chicago. Die beiden leben nebeneinander her, ohne dass sie sich viel zu erzählen hätten. Die Situation beginnt sich erst zu ändern, als Otis Schwester Becky (Tracy Arnold) in diese WG einzieht. Becky zeigt zusehends Interesse an Henry. Dieser verbringt nun auch mehr Zeit mit Otis und weiht diesen in die Kunst des Serienmords ein.
Eine Kamera kreist langsam um eine Leiche, die blutüberströmt in einem Gebüsch liegt. Ein Mann fährt stoisch in seinem Wagen durch die Gegend. In einem Schnellimbiss nimmt er einen Snack zu sich und macht der Kellnerin ein Kompliment. Der Mann steigt wieder in sein Auto. Zwei Leichen liegen blutüberströmt in einer Bar. Auf der Tonspur hört man Schüsse und Schreie, anscheinend eine auditive Rückblende. Der Mann fährt weiter. Ein Schlafzimmer, wahrscheinlich in einem Bordell. Im Bad liegt eine Frau in Reizwäsche nackt und blutüberströmt auf dem Boden. Eine abgebrochene Flasche steckt in ihrem Kopf. Eine leere Plastikflasche treibt durch einen Bach in einen See. Dort liegt eine Frauenleiche mit ausgestreckten Gliedmaßen, das Gesicht nach unten im Wasser. Wieder der Mann. Er ist ein Kammerjäger. Eine Frau öffnet ihm die Tür. Später sieht man sie von hinten auf einem Sofa liegen, während der Fernseher läuft. Langsam wird sie von der Kamera umkreist. Verknotete Kabel um ihren Hals und zahlreiche Brandspuren von Zigaretten auf ihrem Gesicht. Auch diese Frau ist tot.
Bereits der Auftakt zu John McNaughtons 1986 erschienenem Thriller HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER zeigt überdeutlich, dass dies ein Film ist, wie man ihn bis dahin noch nicht gesehen hatte. HENRY ist kein üblicher Serienmörderfilm, der dazu gemacht wurde, sein Publikum zu unterhalten. HENRY ist hart, realistisch und sarkastisch. HENRY verweigert dem Zuschauer eine sympathische Identifikationsfigur. HENRY verweigert anfangs auch das Zeigen des Akts des Tötens. Werden die Morde dann doch gezeigt, sind diese nicht aufregend, sondern hart, dreckig und erschreckend banal. Es gibt psychologische Erklärungen. Doch die sind unwesentlich. In erster Linie handelt Henry einfach aus Frust und aus Langeweile. Seine Opfer ermordet er ganz wahllos. Muss er auch. Das ist sein System. Keine Verbindung zum Opfer haben, keine erkennbare Handschrift zeigen und immer in Bewegung bleiben. So geht es immer weiter. So wird man ihn nie erwischen. Es kann jeden treffen. Man vermutet, dass jetzt gerade ca. 200 Serienmörder wie Henry auf der Welt unterwegs sind. Das wahre Grauen beginnt, wenn der Film vorbei ist. Es ist niemals vorbei. Dies ist keine Phantasie, dies ist unsere Wirklichkeit. Nach dem Film kannst du das Kino verlassen. Aber sieh dich besser genau auf der Straße um. Jetzt geht es erst richtig los. Es kann jeden treffen.
Auch wir sind nicht wirklich unschuldig. Wir wollen solche Morde sehen. Deshalb gibt es auch diesen Film. 100.000 $ hatte ein Chicagoer Video-Produzent John McNaughton gegeben, damit dieser damit einen richtig schön derben Horrorfilm dreht. Das war genug Geld für einen Low-Budget-Direkt-to-Video-Schinken. Das Geschäft mit billigen Horrorvideos lief bereits damals sehr gut. Wenig Geld, aber dafür uneingeschränkte künstlerische Freiheit. John McNaughton sah nach vielen Jahren seine Chance gekommen und war entschlossen etwas daraus zu machen. Der erschreckendste Horrorfilm aller Zeiten sollte es werden. Für große Phantasereien fehlte natürlich das Geld. Also musste der Film einfach sein, musste er realistisch sein. Er wurde auf 16-mm im Vollbildformat gedreht. Sollte ja nur ein kleiner billiger Horrorfilm für die Videothek um die Ecke werden. Doch es kam Richard Fire als zweiter Drehbuchautor hinzu. Der überzeugte McNaughton, kein reines billiges Exploitation-Filmchen zu machen, sondern etwas mit künstlerischem Anspruch. Dann kamen noch Schauspieler des avantgardistischen Chicagoer Organic Theaters hinzu. Und zum Schluss kam dann Michael Rooker. Er war HENRY! Henrys Arbeitskleidung im Film ist Michael Rookers damalige Arbeitskleidung als Hausmeister, in der er auch zum Casting erschien. Und dann erst der Soundtrack: Düster, bedrohlich und experimentell. HENRY wurde ein Meisterwerk.
Wir wollen Morde sehen. Möglichst spektakulär und schön blutig sollen sie sein. Wie ein blutiges Steak. Eine deftige Filmmahlzeit. Lucio Fulci hatte es bereits 1982 mit seinem THE NEW YORK RIPPER angedeutet. Doch dieser Film war in seiner Haltung noch sehr ambivalent. Einerseits hat er die Gewaltsucht versteckt angeprangert, andererseits hat er sie aber auch bestens bedient. THE NEW YORK RIPPER ist in seiner ungekürzten Fassung noch heute in Deutschland verboten. HENRY brauchte immerhin drei Jahre, bis er in den USA in die Kinos kommen konnte. In Deutschland war er noch bis vor kurzem indiziert. Erst der Initiative des Labels BILDSTÖRUNG ist es zu verdanken, dass der Film jetzt endlich vom Index ist. Das ist auch richtig so, denn HENRY ist ein Kunstwerk. Ein Kunstwerk über die Kunst des Tötens.
Im Booklet zu der definitiven Version des Films, die BILDSTÖRUNG nun auf DVD und BluRay herausgebracht hat, bemerkt Dr. Stefan Höltgen sehr richtig, dass die ersten Szenen wie künstlerische Tableaus inszeniert sind. Wir wollen Morde sehen. Sie sollen schön sein. Sie sollen blutig sein. Und sie sollen Spaß machen. Zeig mir ein Dreckschwein und dann gib ihm Saures. So ist es richtig! Auch das zeigt HENRY, allerdings nur ein einziges Mal. Ein Fernsehhehler sollte sich halt nie mit den falschen Leuten anlegen. Sonst zuckt sein Kopf auf einmal im Abendprogramm.
Aber dann folgt eine Mordszene, die alles andere, als unterhaltsam ist. Henry filmt mit einem Videorekorder, wie er und Otis eine ganze Familie abschlachten. Als es dann allerdings nekrophil zu werden droht, da greift Henry ein. Im Vergleich zu Otis ist er eben doch irgendwie ein Held und damit ungewollt unsere Identifikationsfigur. Doch Otis schreckt wirklich vor absolut nichts zurück. Deshalb spult er an dieser Stelle auch das Bild zurück. Denn das Videobild ist in Wirklichkeit bereits eine Aufzeichnung, welche die beiden sich gerade zuhause auf dem Sofa sitzend gemeinsam anschauen. Sie sehen sich ihren eigenen Snuff-Film als Homevideo an, so wie wir uns gerade diesen Film im Videoformat ansehen. Sie wollen ihre Morde noch einmal sehen. Wir wollen ihre Morde sehen. Wir sind wie Henry und Otis, während wir HENRY - PORTRAIT OF A SERIALKILLER anschauen. Das ist das wahre Grauen. Und John McNaughton lacht sich ins Fäustchen.
John McNaughtons Debütfilm HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER ist ein kleiner Low-Budget-Film, der ursprünglich nur für den Videomarkt gedacht war. Die Story basiert lose auf den Geständnissen des realen Serienkillers Henry Lee Lucas, die jedoch zum größten Teil gelogen waren. Auch der Film treibt seinen Schabernack mit dem Zuschauer. Der harte Realismus sorgt in Verbindung mit der tristen Gesamtatmosphäre für ein ebenso faszinierendes, wie unangenehmes Filmerlebnis. HENRY zeigt dem Zuschauer, dass es auch ihn jederzeit treffen kann. HENRY zeigt außerdem, dass dieser Film nur gemacht wurde, weil es genügend Leute gibt, die solch einen Film ansehen wollen. HENRY ist Grindhouse. HENRY ist Arthouse. HENRY frisst sich in dein Gehirn.