DOKU: CAN/IRAK, 2006
Regie: Suroosh Alvi, Eddy Moretti
Darsteller: Firas Al-Taleef, Tony Aziz, Marwan Riyak, Faisal Talal
Der vom Vice-Magazin produzierte Film lässt den Werdegang von Iraks einziger Heavy-Metal-Band Acrassicauda Revue passieren und zeigt, wie der Krieg das Leben der vier Musiker veränderte.
Ach ja, das Vice Magazin. Nichts gegen gepflegte Tritte in die Weichteile der Political Correctness. Aber die ausbeuterische, zynische Weltsicht des selbsternannten Lifestyle-Fanzines ist nicht immer ganz mein Fall. Von den sprachlich meist verbesserungswürdigen Texten und den lieblos hingerotzten Übersetzungen wollen wir jetzt mal gar nicht anfangen.
Um so mehr erstaunt die Ernsthaftigkeit und journalistische Qualität dieses Films. Das Magazin hat die einzige irakische Metal-Band Acrassicauda entdeckt und auf die Titelseite gehievt.
Der Vice-Herausgeber Suroosh Alvi begibt sich über mehrere Jahre immer wieder über verschlungene Wege in die irakische Hauptstadt Bagdad, um den Kontakt mit der Band aufrecht zu erhalten. Aus den Videotagebüchern, Interviews und Mitschnitten der raren Live-Auftritte entstand dieser Dokumentarfilm.
Anfangs sind alle gut gelaunt. Man schüttelt belustigt den Kopf über diverse Seltsamkeiten, die das Leben als Metaller in einem islamisch geprägten Land mit sich bringt. Wo die Frauenquote im Publikum bei exakt null Prozent liegt. Wo Headbangen strengstens verboten ist, weil es ähnlich aussieht wie die Gebets-Bewegungen orthodoxer Juden. Wo die Musiker erst mal eine Lobeshymne auf Saddam Hussein singen müssen, um überhaupt eine Auftritts-Genehmigung zu bekommen.
Mit erstaunlich viel Humor beschreiben die vier Musiker, allesamt gebildete, grundsympathische junge Männer mit perfektem, aus amerikanischen Filmen erlernten Englischkenntnissen, ihre Situation.
Doch bald ist Schluss mit lustig. Der Film lässt den Zuseher nicht gerade in Hochstimmung zurück. Wenn westliche Metal-Bands von Brooklyn bis Simmering Wörter wie "Killing" und "War" ins Publikum brüllen, handelt es sich oft genug um leere Worthülsen. Für die vier Bandmitglieder von Acrassicauda ist das die traurige Realität.
Der Film liefert eine erschütternde Bestandsaufnahme vom Leben in einem Kriegsgebiet, in dem Schießereien, Bombenattentate und Entführungen auf der Tagesordnung stehen. Und wo sich die Menschen, egal welcher Konfession, nichts mehr als Normalität und Frieden wünschen.
Die irakische Realität, die Heavy Metal in Baghdad vermittelt, scheint noch weit schlimmer als es die Gräuelbilder der täglichen Selbstmordanschläge auf CNN und Euronews vermuten lassen: Angst und Paranoia haben ein beinahe surreales Level erreicht. Jeder Schritt ins Freie kann tödlich enden.
Sänger und Bassist der Band sind eigentlich beste Freunde, deren Wohnungen kaum fünf Gehminuten voneinander entfernt liegen. Doch weil sich kein Mensch mehr auf die Straße traut, sehen sie sich nicht öfter als alle paar Monate.
Schließlich flüchtet die Band nach Damaskus, Syrien. Dort muss man zumindest nicht um sein Leben zittern. Doch das Leben ist hart als Flüchtling ohne Arbeitsbewilligung. Zumal die syrische Regierung irakische Flüchtlinge wieder zurück schickt. Damit endet die Doku: Mit Wut, Traurigkeit und Verzweiflung.
Doch das Leben geht weiter. Denn die Musiker haben etwas, das sie zusammen schweißt, das ihnen Mut und Hoffnung gibt: Metal. Das ist mehr als eine Musikrichtung. Metal ist - so pathetisch das auch klingen mag - eine Lebenseinstellung. Eine im besten Sinne konservative Lebenseinstellung, die Werte wie Freundschaft und Zusammenhalt groß schreibt. Und damit den Musikern das Überleben ermöglichte. Im wörtlichen Sinn.
Wie man der Film-Website entnimmt, hat die Band mittlerweile in der türkischen Metropole Istanbul Zuflucht gefunden, wo es einen recht fruchtbaren Boden für härtere Musik gibt. Das ist zwar noch kein Happy End, wohl aber ein Hoffnungschimmer. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Vom (Über)-Leben als Metal-Band an einem Kriegsschauplatz:
Der Film Heavy Metal in Baghdad porträtiert eine Metal-Band aus dem Irak, deren Bandalltag und deren Probleme sich drastisch von jenen ihrer westlichen Kollegen unterscheiden. Harter Stoff - in jeder Hinsicht!