DRAMA: USA, 1995
Regie: Michael Mann
Darsteller: Al Pacino, Robert De Niro, Val Kilmer, Tom Sizemore, Ashley Judd, Jon Voight, Diane Venora
LAPD-Lieutnant Vincent Hanna nimmt die Fährte einer hochprofessionellen Diebesbande auf. Profi-Dieb Neil McCauley spürt "the heat around the corner" als er den nächsten Coup ausmacht. Mit Hanna heftet sich ein ebenbürtiger Kontrahent an seine Fersen.
KRITIK:Wo fange ich an?, dachte ich. Ich recherchiere. Eine gute Ausrede für den Autor, der nicht schreiben will oder kann. Sei es eine Geschichte oder eine Rezension. Recherche ist ein Mittel, seine Überlegungen zum Thema an Zugängen zu bereichern.
HEAT und der Gedanke diesen Film zu rezensieren ist mir Nemesis geworden. Dieser Film ist mein dezidierter Lieblingsfilm und bisher habe ich es vermieden aus ihm ein Thema zu machen. Oder vielleicht auch zu oft nur versucht eines aus ihm zu machen. Ohne zu wissen, was man mit seinem Text zum Thema eigentlich will, bleiben die Anfänge immer nur Schreibversuche.
Aber so sind Schreibversuche immerhin doch wichtig. Man lehnt sie ab. Und dadurch stellt man sich oder seine Beziehung zum Thema auch immer wieder selbst in Frage. Georg Seeßlen meinte in einem Interview, in dem er zur zeitgenössischen Filmkritik Stellung nehmen sollte, "Kritik sollte Begeisterung für den Film" vermitteln. Daran anhängen, denn es gibt auch schlechte Filme, die man kritisieren will, und man Begeisterung in dieem Fall falsch auslegen kann, wäre Begeisterung im Sinne von Anregung zu verstehen. Man wird von mir ohnehin nichts anderes erwarten, als diese Begeisterung für dieses Schwergewicht eines Films - wenn ich sie nur halbwegs vermitteln kann, bin ich mit diesem Text schon glücklich. Es wird ohnehin nur ein weiterer Versuch werden.
Ich fange mit der Antwort zu meiner Frage ganz oben an. Michael Mann. Irgendwann in den 70ern fing er an, als Drehbuchautor für verschiedene amerikanische Fernsehsendungen zu arbeiten. Bronk, Police Story, Starsky und Huutch, Vegas. Die Autoren dieser Formate hatten natürlich alle echte Cops zur Seite, die sie berieten, die ihnen sachkundigen Input gaben, quasi aus dem Nähkästchen plauderten.
Eines Tages erzählte ein Chicagoer Ex-Cop, Chuck Adamson, Michael Mann von einem Kriminellen, hinter dem er in den 60ern her war. Neil McCauley. Ein scharf kalkulierender Krimineller mit üppigem Strafregister. Dieser war 20, als er mit Diebstahl anfing. Immer als Anführer einer Gruppe raubte er kleine Geschäfte aus. Für zehn Jahre ging es in den Vierzigern für erste Mal ins Gefängnis, in den Fünfzigern wieder für ähnliche Delikte mit Komplizen für sieben Jahre nach Alcatraz.
Chuck Adamson wusste über diesen Verbrecher so einiges, er hat recherchiert und fand heraus, dass dieser McCauley, für den es scheinbar nichts anderes als "Coups" gab, sich in Alcatraz als Vorzeigesträfling herausstellte. Er war tüchtig, ordentlich, konnte sich als gescheiter Elektriker etablieren. Jeder zollte ihm Respekt, nicht nur Mitinsassen, auch Wärter. Man kann sich vorstellen, dass Michael Mann bei dieser Charakterisierung damals aufmerksam zuhörte. Die gute Führung McCauleys veranlasste ein Wechsel in ein wesentlich weniger scharfes Gefängnis als den berüchtigten "Felsen".
Nach seiner Freilassung 1962 plante Neil entschlossen und ohne zu zögern den nächsten Coup. Im Visier hatte er eine Firma, die Diamantbohrer herstellte. Adamson war ihm auf der Schliche, wie Al Pacinos Vincent Hanna. Aber immer war Neil McCauley, im Film, wie in der Realität einen Schritt voraus, ließ sich jede Spur von Vorbereitung nicht anmerken. Es ging Adamson darum, diesen McCauley dingfest zu machen, er wusste genau, dass der Dieb auch nach zweimaliger Haft kein normales Leben beginnen würde; Frau, Haus und Wochenenden, Ballspiele mit Barbecue.
Es war zu still um diesen gerissenen Typen, der bis dahin in Freiheit für nichts anderes lebte als im großen, klassischen Stile zu rauben. Adamson war besessen von McCauley. Und dann erzählte Adamson von der Begegnung, die in Michael Mann einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte und den Bericht weit über alles bis dahin gehörte hob. Der Cop saß seinem Verbrecher eines Tages bei einer Tasse Kaffee in einem Diner gegenüber. Sah ihm, über den Tisch hinweg, in die Augen, hörte ihm zu, konnte ihn endlich riechen. Ein belebender Moment für Adamson. Aber zu dieser Zeit hatte Adamson nur die Ahnung, dass etwas im Gange war, aber keine haltbaren Beweise, er wusste nicht, was der Dieb als nächstes vorhatte. Sein Ziel bestand darin, mit diesen Mann zu sprechen, ihn kennen zu lernen, damit er ihn besser einschätzen konnte. Wenn der Dieb nichts verraten oder andeuten würde, so würde er aber doch die Haltung dieses Phantoms absorbieren und ihm vielleicht mit baucheigener Intuition auf die Schliche kommen.
Auch McCauley ist neugierig geworden, wer ihm da auf den Fersen war. McCauley fragt im Film: "You see me doin' thrill-seeker liquor store holdups with a "Born to Lose" tattoo on my chest?" Laut Filmemacher wechselten sie genau die Worte, wie sie im Film vorkommen. Sie redeten. Über Disziplin, Eheprobleme, ihre Träume. Es soll in Manns Buch die Schlüsselszene werden und nichts anderes ist sie geworden.
Berühmt wurde diese Szene aber schon im Vorfeld durch die Tatsache, dass da endlich plötzlich zwei der größten Schauspieler auf der Leinwand gegenüber saßen. Der Mittelpunkt jedes Trailers damals war der Aufhänger: "They finally collide!" - Aber eigentlich sitzen sie in dieser unaufgeregten Szene ganz cool gegenüber. Ein ganz simples Szenario. Zwei Männer sitzen in einem Diner. Es ist schlicht der Höhepunkt des Filmes und Mann ist schlau genug die Szene auf das Wesentliche zu reduzieren. Er stellt also zwei Kameras auf und nimmt auf, ohne die beiden vorher in einer Probe wirken zu sehen. Schuß. Gegenschuß. Mehr braucht es nicht. Und mehr hätte eigentliches diese fast schon heilige, langerwartete Szene zerstört.
Michael Mann erzählt in einem Interview über die Unterschiede, wie De Niro und Pacino arbeiten: "Al tendiert dazu in sich zu gehen, den Charakter in sich, in persönlichen Quellen zu finden. Robert dagegen braucht Oberflächen. Er ist bedacht auf den Geschmack des Charakters für Kleidung, Frisur, auf die Art, wie er sich Fähigkeiten aneignet. So findet er seine Figur."
De Niros McCauley ist grau, silbern. Er gleicht einem Messer, das sich beherrscht aber gefährlich durch die Realität schneidet. Ein asoziales, rein professionelles Wesen, das Michael Mann zehn Jahre später im eiskalten Vincent in Collateral wieder aufgreift. Die graue, glatte Oberfläche macht aus ihm einen unauffälligen Niemand in einem grauen L.A. voller Niemande. Seine Erscheinung dient ganz dem Zweck seiner Rolle, die nötige Anonymität für seinen Job zu schaffen. Mit einer Beschreibung seines Aussehens ist der Polizei nicht großartig geholfen.
Al Pacino findet hingegen in seinem Innern für die Rolle den temperamentvollen und gerissenen Macho, für den wir ihn alle lieben. Wenn er in diesem Film sagt: "I say what I mean, and I do what I say.", sollten wir dankbar schmunzeln. Ob in einem Liebesfilm, ob als größenwahnsinniges Narbengesicht, als geschäftstüchtiger Teufel, Reporter, blinder Ex-Colonel, Coach, Revolutionär oder immer wieder Cop, Pacino ist unter Strom und seine Erscheinung ladet jeden Film auf, seine Reden überwältigen uns, und, wenn er mal keine Worte findet, beginnt er uns zu rühren.
Das Großartige an Heat ist, dass er uns mit diesen großen Schauspielern auch zwei Protagonisten gibt, die detailliert, komplex und schlüssig charakterisiert werden. Sie sind Anführer, kennen sich in ihrem Metier hervorragend aus. Die eine Figur ist in ihrem ganzen Wesen darauf eingestellt, keine Spuren zu hinterlassen, jede Bewegung in der Stadt ist einem Risikomanagement unterworfen. Jede noch so kleine zivilisatorische Leidenschaft, jeder Besitz, jede Form von persönlichem Ausdruck kann zurückverfolgt werden, gilt als Spur.
Doch wie reagiert Neil auf das Interesse einer Frau für ihn?
Der Beruf des Anderen gleicht im Wesentlichen dem eines Spurenlesers, eines Jägers. Doch an sich ist sein Beruf natürlich weitaus komplexer. Mord, Vergewaltigung, Raub, Drogenmissbrauch, wer sonst ist mit dem Elend einer Zivilisation vertrauter als ein Bulle der Großstadt und so abgehärtet er auch sein mag, hinterlassen die Bilder des Elends Spuren in seiner Seele. So auch in jener unseres Bullen Hanna, die sich in Apathie gegenüber seiner Frau äußert, in Vernachlässigung seiner Familie.
Draußen Hölle, daheim Ruine. Wo bleibt die Flucht?
Das Hin und Her im Film von Cop zu Dieb schafft einen mitreißenden Sog. Alles wirkt aus einem konzentrierten Kern heraus. Selbst die zahlreichen Nebenhandlungen zum Verschnaufen, in denen wir von Neben- und Schlüsselfiguren etwas erfahren, bereichern den Film mit Emotionen: Die Szenen, die pointiert das Verhältnis von Hannas Stieftochter (Natalie Portman) zu ihrem leiblichen Vater skizziert. Die Szenen die den alles aus dem Gleichgewicht bringenden White- Trash-Abschaum Waingro charakterisieren, von erbärmlicher Selbstdarstellung zum Mord. Die Szenen um den schwarzen Ex- Knacki, der nach der Haft mit seiner Freundin ein neues, "normales" Leben beginnen will und erst wieder eine falsche aber fatale Entscheidung trifft.
Jede erzählte Kleinigkeit, jedes Detail führt immer wieder zum Kern des Filmes zurück. So wird etwa Hanna während der Observation auf McCauley aufmerksam, als dieser in der Runde seiner Kollegen nach einer kleinen "Familienfeier" ausgerechnet ohne Begleitung aus dem Restaurant kommt: "Whos that Loner?", fragt der Cop noch ohne Ahnung. - Ein paar Szenen darauf sitzt der Einzelgänger plötzlich entgegen seiner Lebensführung in der Wohnung der Frau, in die er sich verliebt hat und ist fast unvorsichtig voreilig sein Glück mit ihr zu finden. Man sieht da, wie die harte, glatte Oberfläche des Mannes einen Riss erhält und wenn man in der Szene hinschaut, merkt man, dass auch McCauley ihn erkennt, als er ins Leere blickt. (der Blick kommt Jahre später in Collateral bei Vincent vor)
Auf der anderen Seite sehen wir, wie sich durchgehend Negatives in Cop Hannas Leben anstaut oder sich komprimiert. Von den Problemen mit seiner Frau, dem Versagen als Stiefvater. Bei der Begegnung im Diner tragen beide graue Sackos, aber ihre Hemdfarben erscheinen seltsam ihrem Seelenzustand zu entsprechen. Weiß bei Neil, schwarz bei Vincent. Wie für den ganzen Film aber deuten sie nicht das übliche Schwarz-Weiß-Schema Gut und Böse, auch kein verkehrtes, die Dreiecksbeziehung Weiß-Schwarz-Grau bekommt in Heat ein ganz eigenes interpretierbares Verhalten.
Wenige Monate nach der Begegnung im Cafe sollten sich Chuck Adamson und McCauley wieder treffen. Adamson erfährt von einem Banküberfall und wähnt sich endlich seinen Verfolgten eingeholt zu haben, sperrt die Straße vor dem Gebäude von jeder Fluchtmöglichkeit ab. Und erlebt, wie McCauley und Komplizen entschlossen mit Waffengewalt ihren Ausweg bahnen wollen. Nur einer kann entkommen. Neil McCauley aber wird in der Nähe auf einem Rasen vor einem Haus getötet. Chicago, 1964. Chuck Adamson quittiert kurz darauf den Dienst. Wird technischer Berater, später Autor (Miami Vice, Crime Story) und Schauspieler.
Michael Mann beginnt aus diesen Berichten und fundiertem Hintergrundwissen ein Drehbuch zu schreiben. Lässt es trotz Überzeugung davon erstmal in der berühmten Schublade und widmet sich erst Anfang der 80er mit zwei weiteren Abhandlungen seiner fesselnden Inspiration. Zum ersten der Fernsehfilm "Ein Mann kämpft allein" (The Jericho Mile), ein Gefängnisfilm mit stark verdächtigem Protagonisten. Zum anderen, sein erster Kinofilm mit stark verdächtigem Titel "The Thief" (dt.Titel, man hats kapiert: Der Einzelgänger).
In einer seiner besseren Rolle spielt James Caan hier den professionellen Safeknacker Frank, der hin und her gerissen ist zwischen Leben als Verbrecher und einer Frau, in die er sich verliebt. Man stellt in diesem Film fest, dass den Erzähler Michael Mann zwei Handlungselemente besonders interessieren. Die Liebesgeschichte und die Charakterisierung eines Professionellen. Frank ist ein Mann, bei dem während der Ausführung seiner Aufträge jeder Handgriff sitzt, in Gesprächen mit einer Frau aber Satz für Satz versagt, die Frau nicht kriegt, weil er ihr nicht klar machen kann, dass er sein Leben als Krimineller für sie aufgeben würde.
Die romantisch-nüchterne Selbstbehauptung, der Wille des Protagonisten sich vom berechnenden Kriminellen-Genie in einen Gefühlsmenschen zu wandeln ist der stärkste Aspekt des Filmes. Wie man sich denken kann, beruht auch diese Figur auf einer lebenden Chicagoer Räuberlegende, die ebenfalls Manns Freund Chuck Adamson hinter Gitter brachte.
Die Filme kommen bei den Kritikern gut an, sein erster Kinofilm floppte jedoch. Michael Mann erkennt sein großes Glück. Er, damals schon gut angesehen in der Fernsehlandschaft, kann Ideen erst mal in kleineren Formaten, die das Fernsehen bietet, ausformulieren. So widmet sich Mann die nächsten Jahre der hungrigen Fernsehlandschaft, vergisst aber nicht darauf seinen Namen mit kleinen unscheinbaren aber interessanten Experimenten auch auf die große Kinoleinwand zu bannen (The Keep, Blutmond entstehen).
Aber Miami Vice erst sichert ihm den Erfolg in den Achtzigern. Das in aller Welt ausgestrahlte und gefeierte Format festigt seinen Ruhm als ausführender Produzent und macht ihn zur Trendsetter-Ikone seiner Zeit. Zwei Jahre Crime Story folgen, in dem Michael Mann die Essenz die ihn beschäftigende Figurenkonstellation "Cop ist Gangster auf den Fersen" als Serie ausformuliert. Darin baut sich Ray Luca übermächtig ein ganzes Verbrechens-Imperium auf und bis zum Ende kann ihn der Cop nicht stellen. Wie der Titel schon sagt, reiner Krimi.
1989 beginnen die Arbeiten zum Fernsehmodell seiner Adamson- McNauly-Interpretation, natürlich in die Achtziger transferiert. L.A. Takedown. Wie der Titel schon sagt, verlagert er die Konstellation nicht nur in seine Zeit, sondern auch an einen stoffgerechteren Ort. Er kürzt seine 180 seitenstarke Fassung um mehr als ein Drittel und legt los.
Takedown versprüht einiges vom Miami Vice-Feeling. Hinter der fast unansehlichen Optik voller seltsamer Framings und Bildkompositionen (oft liegt die Kamera auf Höhe des Schritts), kotzübel-mieser Schauspielerleistung und einem unerträglichem Score spürt und erkennt man die große epische Erzählung. Als der Film fertig ist, beginnt Mann seine Umsetzung zu studieren. Er stellte fest, dass das Ergebnis eigentlich den Sinn eines Prototyps hatte, es musste erst recht mehr damit machen, es weiterführen, er hatte nun eine Vorlage und strategische Stütze für die weitere, reife Umsetzung.
Als die Schießerei nach dem Banküberfall losbricht, kommt man nicht umhin etwas festzustellen. Es klingt ganz anders, als man es kennt. Die einprägsame Geräuschkulisse ist mittlerweile zu Manns Markenzeichen geworden. Man hört in seinen Filmen nicht nur einen ohrenbetäubenden Salvensturm aus Waffen jedweder Art, man hört, wie sich dieser Sturm zu der unmittelbaren architektonischen Umgebung verhält. (hier Stadtzentrum, weitere Beispiele in anderen Filmen: Hafen, Wald). Verwendeter Originalton also, nichts Geschummeltes aus der Dose.
Ich würde sonst was geben den Film noch mal auf der großen Leinwand zu sehen, liebe Leute, und bei diesem ungeschönten, echten Sound eingeschüchtert klein werden. Für diese Detailversessenheit und sein Streben nach Authentizität und Perfektion ist Mann in Hollywood berühmt. Er gilt als einer der wenigen, aber wichtigen Autorenfilmer im krisengeschüttelten Hollywood, heißt, er macht Filme, zu denen er die Bücher geschrieben hat oder zumindest Versionen davon. Aber nicht nur das, Mann ist einer, der (seine) Filmsprache entwickelt und immer höhere Maßstäbe für Genres setzt, besonders in jenem, in das Heat 1995 explodiert ist.
Und ich schätz mal, mit Michael Mann ist die Routine in der Branche eingefahren, Schauspieler, die Cops spielen sollen, in Polizeiarbeitunterricht zu schicken. Und die talentierteren unter ihnen halten heutzutage auch die Waffe richtig. Bei Michael Mann werden Schauspieler in der Vorbereitungsphase mit allen Facetten des Berufs ihrer Rolle vertraut gemacht oder zumindest mit dem Feeling. Tom Cruise musste im Vorfeld zu den Dreharbeiten zu Collateral unerkannt als Kurier durch New York (macht das einmal mit dem Gesicht), Colin Farell und Jamie Foxx waren für Wochen mit Zoll- und Drogenfahndungsbehörde Undercover unterwegs. Da gibts einige nette Anekdoten.
Man sieht also in Heat nicht bloß Schauspieler, die tun, was das Drehbuch vorgibt, nämlich zu schießen, in Deckung zu gehen, man sieht in Heat geschulte Männer, die sich während einer inszenierten Schießerei so verhalten, wie es im Polizeihandbuch steht, bei denen jeder Schritt, jede Gewichtsverlagerung und Nutzung der Umwelt sitzt. Der Unterschied macht immens was aus. Selbst andere gefeierte Genreerfahrene von Don Siegel über William Friedkin oder Sidney Lumet müssten sich vor der Authentizitätsvernarrtheit eines Michael Mann verneigen. Während im Prototyp Takedown Schauspieler angestrengt versuchen monoton Bedeutung und Stärke in ihr Gesagtes zu legen, stellen wir in Heat fest, dass es unterschiedliche Sprechrhythmen gibt, Dialekte, Jargons.
Wo in einer Fernsehfassung das Tempo einer Handlung dominiert und man seine Qualität in sprechenden Köpfen in Großaufnahme ausmacht (das ist übrigens auch heute noch Fernsehen, wie man es liebt und hasst), spielt in der Kinoversion plötzlich die Stadt Los Angeles eine große Rolle, die Kameramann Dante Spinotti, Stammkameramann von Mann, mal kontrastreich, mal fast monochrom einfängt. Wir kommen mit dem Film ein bisschen rum in der Großstadt des Westens (in Summe 65 Originalschauplätze). Immer wieder bestimmend ist das Blau der Stadt L.A. - Nachthimmel, Hinterhöfe, seine dusige Weite von entlegenen Anhöhen aus.
Blau erscheint uns die Einsamkeit rund um McCauley. Wenn er tötet, aber selbst wenn er liebt. Und einsam muss die Stadt also machen. Ferner Lichter, überall Lichter in Ruhe und beschleunigt. Das Lichtermeer der Stadt funkelt und leuchtet in einigen Einstellungen hinter unseren Protagonisten. Ein Neo-Film Noir, wie man so hübsch klassifizieren kann, eine Bezeichnung aber, die viel zu eng ist für das Gesamtkunstwerk Heat.
Wer den Filmemacher studieren will, kommt nicht herum diese zwei Filme anzuschauen und nicht nur um eine a) interessante Entwicklung von einer Vorlage zum perfekten Kinofilm zu studieren, sondern auch um b) die Unterschiede eines Fernseh- zum Kinofilm auszumachen.
Auffallend in Heat hat fast jede männliche Figur eine Frau an der Seite und immer anders aber individuell prägend ist das Verhältnis. Hanna und seine im Film dritte Frau (Diane Venora) haben eine leidenschaftliche Beziehung, es wird geschrieen, geschimpft, einander verletzt. Hanna ist der Player, seine Frau teilt ihn mit der brutalen, finsteren Welt, die ihn eingenommen hat, das Verhältnis bricht mit der Spielzeit Stück für Stück auseinander. Für uns beginnt es mit einer Bettszene und der leidige Höhepunkt ist, als er zynisch einen schäbigen Fernseher über sie stellt und sie wütend verlässt.
McCauleys Beziehung zur durch und durch unschuldigen, sensiblen Eady (Amy Brenneman), die nichts anderes als ein schönes Leben voller Entsagungen aber auch Erfüllungen verspricht, ist fast von vornherein zum Scheitern verurteilt. In der aufgeschnappten Empfehlung eines Vorbilds: "Don't let yourself get attached to anything, you are not willing to walk out on in 30 seconds flat, if you feel the heat around the corner." -sieht er sein Lebensmotto und das hängt wie ein Damoklesschwert über dem Faden der Beziehung zu der Frau, die aus dem Nichts aufgetaucht ist und nach der er sich außerhalb seiner enthaltsamen Lebensführung sehnt.
Bei der Dinerszene beginnt er sich schon etwas entgegen dieses Mottos selbst zu belügen, um im letzten Drittel plötzlich ratlos neben seiner Geliebten zu stehen. Der Nachthimmel hüllt beide in Blau. Und doch zwitschern unbekümmert und vital Vögel aus dem Off, als ginge die Sonne bald auf. Anders verhält sich die Liebe von McCauleys Partner Chris (Val Kilmer) zu seiner Frau Charlene (Ashley Judd). Destruktiv- leidenschaftlich. Und am Ende wird wenigstens er es sein, der sich dem Motto von McCauley in einer beschworenen Situation ergibt.
Würde man die Szenen über all die Beziehungen zwischen den männlichen Figuren zu ihren Frauen aus dem Film nehmen, würde er gerade mal gut halb so lang dauern und bei weitem nicht das Epos ausmachen, wie er in der Filmgeschichte da steht. Wer also von diesem komplexen 170-minütigen Drama wilden Drive erwartet und auf Anhieb nicht den Zugang zum Privatleben der Figuren findet, dem wird der Rest auch kalt lassen. Den handelsüblichen Krimi wird er in Heat nicht finden.
Heat nimmt nicht das Ende von der Legende Adamson/McCauly, die Flucht nach dem Banküberfall ist verlustreich, Verlust ist überhaupt der immer wieder angeschlagene Akkord im letzten Drittel des Filmes. Dem Erzähler Mann war bewusst, er braucht ganz klar ein viel persönlicheres Ende. Hanna und der Film-McCauley sind seelenverwandt, sie werden sich wieder begegnen, auch, wenn man es sich nach der Diner-Szene und eine Stunde danach auch nicht wünscht. Und von diesen Filmen gibts wirklich wenige, wo man sogar hofft, dass die Figuren am Ende nicht mehr wieder aufeinander treffen.
Nun, was wäre das Filmepos ohne ein bisschen Poesie. Und obwohl Michael Mann Metapher und Moral fern liegen, beflügeln Mobys "God Moving over the Face of the Waters" und die letzten großen Bilder des Ende die Seele als hätte man ein gutes Gedicht gelesen und verstanden. Auch das hätte ich liebend gerne auf der großen Leinwand erlebt.
Es gibt ohne Zweifel keinen Zweiten in Hollywood, der sich in Sachen Kriminologie und der Kriminalgeschichte Amerikas des ganzen 20. Jahrhunderts mit Michael Mann messen kann (höchstens Scorsese). Seine Kenntnisse erstrecken sich mittlerweile weit über zwielichtige Angelegenheiten hinaus, hin zu brisantem Wissen über Operationen von Kartellen und jeder noch so unbekannten, suspekten Zelle aktiver Behörden. Er ist ein wahrer Insider. Und so offenbaren seine Filme neben dem Charakter des Genres eine stets autarke Basis und Inszenierung. Er erfindet kein Genre neu, aber seine Beiträge sind erfrischend und geben sich weniger dem Zitierungswahn hin, von denen viele andere Regisseure besessen sind, als dem profunden Wissen und der leidenschaftlichen Hingabe zum behandelten Stoff. Und nur mit entsprechend langen Vorbereitungsphasen gibt er sich den Umsetzungen hin.
So entstehen ein ums andere Mal seit Heat, das unumstritten sein Meisterstück ist, großartige Filme, entweder von der Gattung, die sich aus der Recherchezeit zu Beginn seiner Karriere abspalten und quasi mit Heat (Collateral, Miami Vice, Insider) verwandt sind oder Filme, hinter denen ganz persönliche Interessen des Filmemachers für historischen Figuren stehen (Der letzte Mohikaner, Ali, Public Enemies).
Ein Meisterwerk, das einen langen Weg vom wirklichen Leben, als Historie, über Berichte, durch einen genialen Kopf auf Papier, in unzähligen Versionen hin verfilmt für Fernsehen, optimiert und letztendlich zu einem der besten amerikanischen Filme vollendet, dreißig Jahre Entstehungsgeschichte hinter sich hat.