HORROR: USA, 2013
Regie: Vincenzo Natali
Darsteller: Abigail Breslin, David Hewlett, Stephen McHattie, Peter Outerbridge
Murmeltiertag im Gothic-Jugendzimmer: Immer und immer wieder muss Lisa (Abigail Breslin) den selben schrecklichen Tag durchleben. Die Mutter nervt wegen der Schmutzwäsche, der kleine Bruder mit dem imaginären Freund, der Vater mit dem reparaturbedürftigen Auto in der Garage. Lisa will raus. Keine gute Idee bei diesem Nebel. Und woher kommen diese wispernden Stimmen über ihrem Bett? Lisa versucht verzweifelt, nicht den Verstand zu verlieren ...
I don't believe it
I had to see it
I came back haunted
I came back haunted
(Nine Inch Nails: "Come back haunted")
Vorhang auf für den Überraschungsfilm am diesjährigen /slash-Filmfestival. Die Spannung im Kinosaal ist spürbar. Als der Name Vincenzo Natali in kunstvoll verschnörkelten Lettern auf die Leinwand projiziert wird, brandet kurzer Applaus auf. Mit seinen Arbeiten CUBE und CYPHER hat sich der kanadische Regisseur einen Ruf als Fachmann für klaustrophobische Szenarien in abgeschotteten Räumen erarbeitet. Der unterschätzte SPLICE war eine Anbetung des "Weiblichen" im Genre-Kino, das an Motive starker weiblicher Hauptfiguren von CARRIE bis ALIEN anknüpfte.
HAUNTER ist, wenn man so will, die logische Fortführung seines bisherigen Euvres: Klaustrophobischer Horror aus weiblichen Perspektive.
Der Film profitiert entschieden vom souveränen Spiel der jungen Darstellerin Abigail Breslin, die hier keine Little Miss Sunshine mehr ist, sondern eine outfitmäßig mit Melancholie und Teenage Angst kokettierende junge Frau: Dunkler Lidschatten, schwarzes "Siouxsie and the Banshees"-T-Shirt , Cure-Poster im Schlafzimmer. So schön, so Eighties.
Das Mysteriöse, das Unheimliche, das Grauen bricht alsbald mit voller Wucht herein in dieses Zimmer, und wir befinden uns inmitten eines klassisch anmutenden Haunted House-Szenarios. Aber lassen wir uns nicht täuschen. Der - im übrigen handwerklich perfekte, elegant ausgeleuchtete und höchst stilvoll fotografierte Film lässt nämlich keine Gelegenheit ungenützt, an den Konventionen des Sub-Genres zu rütteln.
Nichts ist, wie es scheint. Dass uns Natali den Boden unter den Füßen weggezogen hat, merken wir erst, wenn wir mit voller Wucht im Keller aufprallen. Oder gab es in Wirklichkeit gar keinen Boden? Was ist das eigentlich: Die Wirklichkeit? So taumeln wir gemeinsam mit Lisa durch Zeit und Raum und wissen niemals mehr als sie selbst: Eine Tragödie muss sich in diesem Haus abgespielt haben, und es liegt an Lisa, zu verhindern, dass sich das Grauen wiederholt.
Je länger der Film läuft, desto stärker legt sich die Genre-übliche Melancholie über die Hauptfiguren. Das mag man - je nach persönlicher Empathiefähigkeit - klischeehaft, berechnend, gar ärgerlich finden. Oder aber man lässt sich darauf ein und genießt es, wenn sich die körperlichen Reaktionen einstellen: Gänsehaut am Rücken und feuchte Augen. Sinnliches Kino als Ganzkörper-Erlebnis. Schön.
PS: Ich will aber nicht verschweigen, dass meine Euphorie nicht restlos geteilt wurde. Kollege Federico, ein ausgewiesener Liebhaber von Geister-Filmen, war alles andere als begeistert. Er wird bestimmt bald im Kommentarbereich erklären, warum ...
Völlig unerwartete Überraschungen sind die schönsten. Der neue Film von CUBE-Erfinder Vincenzo Natali entführt uns in ein Geisterhaus, in dem nicht ist, wie wir es zu wissen glauben. Atmosphäre wird mit großem A geschrieben in diesem elegant inszenierten, neo-gotischem Horror-Kammerspiel, das auch als klassisches Drama ganz vorzüglich funktioniert. Hoffentlich in Bälde auf DVD.