DRAMA: USA, 2006
Regie: Ryan Fleck
Darsteller: Ryan Gosling, Shareeka Epps, Jeff Lima
Der engagierte, linksliberale Geschichtelehrer Dan Dunne hat ein Problem. Ein Drogenproblem. Die Realität entgleitet ihm zusehends. Eines Tages wird er von einer Schülerin zugedröhnt auf der Toilette erwischt. Doch sie verpfeift ihn nicht, sondern zeigt ein gewisses Verständnis. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung der besonderen Art...
KRITIK:Die heimischen Filmverleiher scheinen in ihrer eigenen Zeitrechnung zu leben:
Das amerikanische Independent-Drama HALF NELSON wurde 2006 gedreht, 2007 auf der Viennale präsentiert, 2008 auf DVD veröffentlicht und kommt nun Anfang 2009 in eine Handvoll heimischer Programmkinos.
Für nur 700.000 Dollar Produktionsbudget schuf der junge amerikanische Regisseur Ryan Fleck ein überzeugendes Drama um einen Lehrer an einer Brooklyner Highschool, dessen Drogensucht ein offenes Geheimnis ist, seit er von einer Schülerin auf dem Klo beim Crack rauchen erwischt wurde. Es folgt eine komplizierte Lehrer-Schüler-Beziehung, aber anders als sonst.
Ryan Fleck weicht etwaigen Klischeefallen großräumig aus: So gibt es KEINE erotische Komponente in der Beziehung zwischen dem Pädagogen und seiner minderjährigen Schülerin, keinen moralisch erhobenen Zeigefinger, kein aufgesetztes Happy End.
Der Film nimmt sich Zeit, fast zuviel Zeit für die Einführung seiner Charaktere. Soll heißen: HALF NELSON ist stellenweise eine etwas langatmige Angelegenheit. Weil die Figuren aber interessant & glaubwürdig sind, klappt das emotionale Reinkippen (für mich immer noch DAS Kriterium für einen guten Film) recht gut.
Viel ist im Film von Veränderung die Rede, von Dialektik, laut Wikipedia: Die Lehre von den Gegensätzen in den Dingen. Der Film ist selbst voll von Gegensätzen: Ein weißer Lehrer, seine farbige Schülerin. Ein Intellektueller, der sich betäubt, um die geistlose Realität um ihn herum zu ertragen. Der Wissen vermittelt und nicht weiß, wie er sein Leben in den Griff kriegt.
Und noch ein Gegensatz: So sehr der Film inhaltlich und schauspielerisch überzeugt (Oscar-Nominierung für Ryan Gosling!), so sehr schwächelt er auf formaler Ebene: Karge, schlecht ausgeleuchtete Digitalvideo-Bilder mit "Bourne"-scher Wackelkamera irritieren das Auge, mittelprächtiger US-Rock (Broken Social Scene etc.) und MTV-HipHop bedröhnt die Ohren.
Und den Witz mit der Milka-Kuh (in der deutschen Synchronfassung) muss mir bitte noch jemand erklären. Im Original heißts:
A: Knock, knock.
B: Who is there?
A: The Intercepting Cow.
B: What is the ...
A: Moooooh.
"Was hat dich bloß so ruiniert?" (Die Sterne).
HALF NELSON ist Junkie-Ballade, Schuldrama und Milieustudie, inhaltlich und schauspielerisch top, visuell (budgetbedingt?) eher flop. Sollte man aber trotzdem sehen.
Kinostart: 23. Jänner 2009