EROTIK-THRILLER: J, 2011
Regie: Sion Sono
Darsteller: Miki Mizuno, Makoto Togashi, Megumi Kagurazaka
Die zurückhaltende Izumi lebt im Schatten ihres erfolgreichen Schriftsteller-Ehemannes. Aus Frustration und Langeweile heraus beginnt sie, im Supermarkt zu arbeiten, wo sie von einer halbseidenen Agentur als "Model" entdeckt wird. Das Fotoshooting wird zu Izumis sexuellem Erweckungserlebnis. Die schüchterne Frau findet Gefallen am Tabubruch. Nächste Station ist Tokios Rotlichtviertel, wo Izumi die Bekanntschaft einer Literaturprofessorin macht, die ihr kostenfreie Nachhilfe in den Fächern Perversion und Prostitution gibt. Anstatt ihren Mann zu bedienen, wird sie sich Izumi fortan mit fremden Männern in Love Hotels und Bar-Toiletten treffen, in Pornofilmen mitspielen und immer tiefer in die Gosse des berüchtigten Tokioter Vergnügungsviertels sinken. Im dem Abbruchhaus, in dem Izumi ihren Körper für ein paar Yen verkauft, wird eines Tages die verstümmelte Leiche einer jungen Frau gefunden. Kommissarin Yoshida beginnt zu ermitteln ...
Einen "Hassprediger der Liebe" hat die Tageszeitung Die Presse den japanischen Regie-Extremisten Sion Sono treffend genannt. Schon LOVE EXPOSURE (2008) war so ein Superlative-Film, bei dem man sich nicht mehr vorstellen konnte, wie der Regisseur diese irrsinnige, 237 minütige Tour de Force aus Sex, Komik, Splatter, Kung Fu, Pop, Perversion, Poesie und alles überstrahlender Leidenschaft noch toppen könnte.
Danach folgte der dunkle Serienkiller-Flick COLD FISH, eine gestreckte Faustwatschen von einem Film, der auf Festivals für Verstörung und bleiche Gesichter sorgte. Mit GUILTY OF ROMANCE bringt Sono seine "Trilogie des Hasses" zu einem - so viel darf verraten werden - würdigen Abschluss.
Der Film beginnt in gemächlichem Tempo und führt den Zuseher in die Hölle eines kalten Ehegefängnisses. Hier lernen wir Izumi kennen. Artig gekleidet, den Blick devot zu Boden gerichtet, liest sie ihrem Ehemann jeden Wunsch von den Lippen ab. Ihr Mann ist ein berühmter Schriftsteller, der mit seichten Hausfrauensoftporno-Romanen ein Vermögen gemacht hat. Doch der Göttergatte glänzt tagsüber durch Abwesenheit und nachts durch völliges sexuelles Desinteresse. "Ich will etwas erleben, bevor ich 30 bin", schreibt die zusehends frustrierte Izumi in ihr Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt ahnt die junge Frau noch nicht, wie schnell - und wie heftig - ihr Wunsch in Erfüllung gehen wird. Und wie schlimm die Dinge enden werden ...
Wie wollen wir GUILTY OF ROMANCE nun einordnen? Beginnen wir mit dem Offensichtlichen. Statt 237 Minuten wie in LOVE EXPOSURE spannt uns Sion Sono diesmal "nur" 144 Minuten lang auf die Folter - wobei es definitiv schlimmere Erlebnisse gibt, als von Sion Sono cineastisch "gefoltert" zu werden. Seit er in seinem Debut SUICIDE CIRCLE gleich in der Eröffnungsszene eine Schulklasse kollektiv vor die U-Bahn springen ließ, gilt der mittlerweile 51-Jährige Filmemacher und Dichter als Vorzeige-Extremist in der an Extremisten nicht gerade armen japanischen Kino-Szene.
Wie immer zwischen reißerischer Exploitation und echter Kunst-Ambition pendelnd, gelingt Sion Sono ein Film, der zumindest mal für Staunen und offene Münder sorgt. Es regnet pausenlos wie in SEVEN, und trotzdem leuchten die Farben wie in den schönsten Mario Bava-Filmen. Es wird gerammelt wie in den lustigsten Pinku Eigas, und dazu ertönt Gustav Mahler auf der Tonspur. Zwischen flackernden Neonlichtern werden Leichenteile so kunstvoll drapiert wie seit seligen Giallo-Zeiten nicht mehr, während die Protagonistinnen (allesamt weiblich und reichlich mit Doppelleben, Perversionen und seelischen Abgründen ausgestattet) über deutsche Dichtkunst (Kafka!) diskutieren.
In seinen besten Momenten wirkt dieser Erotik-Thriller (endlich- eine Schublade ;-), wie Dario Argentos asiatischer Zwillingsbruder, der den Lümmel in seiner Hose entdeckt hat. Doch in den Durchhängern, die leider auch gelegentlich zu Tage treten, stellt sich die Frage, ob ein bisschen weniger nicht mehr gewesen wäre. Vielleicht nur 100 statt 144 Minuten, und diese cineastische Wundertüte wäre noch weit effektvoller explodiert als die rosa Farbbeutel auf den nackten Körpern der Love Hotel-Gäste.
Anyway, wer von knallbunten, japanischen Sex- and Crime-Freakshows im Allgemeinen und von Sion Sonos Werk im Speziellen nicht genug bekommen kann, sitzt in der ersten Reihe. So wie der Autor dieser Zeilen, der mit großer Freude feststellen durfte, dass Sion Sono auch hierzulande eine erkleckliche Anzahl an Bewunderern sein Eigen nennen darf. Das Wiener Top-Kino war an diesem verregneten Freitag Abend zwar nicht ausverkauft, aber äußerst gut besucht. Schön ist das, genau so wie dieser zwar nicht ganz makellose, aber sehr bizarre und - ja, geile Film. Ab ins Kino mit Euch!
GUILTY OF ROMANCE ist eine sehr bunte, sehr bizarre, sehr geile Nippon-Freakshow, angerichtet von einem Regisseur, den die Tageszeitung Die Presse sehr treffend einen "Hassprediger der Liebe" genannt hat.
In diesem Sinne: "Möchten Sie probieren?"