OT: Good Fellas
TRUE CRIME: USA, 1990
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Ray Liotta, Robert DeNiro, Joe Pesci, Paul Sorvino, Samuel L. Jackson, Lorraine Bracco
Good Fellas erzählt das Leben von Henry Hill, der in seiner Jugend in Brooklyn anfing für die Lucchese Familie zu arbeiten und so 30 Jahre lang in den Kreisen der Mafia lebte.
"So lange ich denken kann ... wollte ich schon immer Gangster werden."
Mit dieser Aussage beginnt nach einem blutigen Intro die Geschichte Henry Hills.
Brooklyn in den 50er Jahren: Der junge Henry Hill lebt zusammen mit seiner italienischstämmigen Mutter, seinem irischen Vater und seinem querschnittsgelämten Bruder in ärmlichen Verhältnissen in einer kleinen Wohnung in Brooklyn, New York. Jeden Tag beobachtet Henry den Taxistand der gegenüber der Wohnung liegt. Und die Mobster die dort ein und aus gehen. Von Anfang an übt dieses Millieu eine Faszination auf Henry aus: Eine Parallelgesellschaft die sich scheinbar alles erlauben kann.
So kommt es schnell dazu, dass Henry die Schule schmeisst, am Taxistand "jobbt" und dort Botendienste übernimmt, Zigarretten verkauft und auch mal einige Autos im Auftrag der Mobster anzündet. Zum Dunstkreis rund um Unterboss Paul Cicero (erstklassig: Paul Sorvino) gehören Killer, Kleinganoven, waschechte Mafiamitglieder und einfache Handlanger. Unter anderem auch Killer Jimmy Conway (Robert DeNiro), der Choleriker Tommy DeVito (Oscar für Joe Pesci), den fast ausschließlich italienisch sprechenden Frankie Carbone (Frank Sivero) und eine ganze Menge anderer Mitglieder der Lucchese Familie.
Bei seiner ersten Gerichtsverhandlung, seiner "Entjungferung" erklärt Jimmy Conway Henry die zwei wichtigsten Regeln des Mobs: "Du verpfeifst niemals deine Freunde und hälst immer den Mund.".
Fast 30 Jahre lang sollte Henry Hill diese Regeln befolgen.
1990, als Good Fellas in die Kinos kam, war Martin Scorsese seiner Zeit um Längen vorraus, dachte das Kinopublikum bei dem Wort Mafiafilm ausschließlich an Coppolas "Der Pate", der grundsätzlich mit klassischen Stilmitteln gedreht wurde und die Cosa Nostra als ehrenwerte Gesellschaft zeigte die nur mordete um das Ansehen der Familie zu verteidigen, pompöse Familienfeiern veranstaltete und durchaus als salonfähig zu betrachten war.
Hier verfolgte Martin Scorsese von Anfang an ein anderes Konzept. Eine Stimme im Off die den Film begleitete, häufige Standbilder, lange Kamerafahrten und ein realitätsnahes und ungeschöntes Bild der Mafia in Amerika. Der Gegenentwurf des American Way Of Life, eine Parallelgesellschaft die ihre eigenen Gesetze schreibt und kaltblütig mordend ihre Ziele verfolgt.
Dekadenz ja, Ehre nein. Nicht aus Ehre wird hier gemordet, sondern aus Profitgier, Verschleierung von Schuld oder aufgrund von reinem Kontrollverlust.
"Für die meisten Jungs gehörte das Töten zum Alltag, Mord war der einzige Weg der alles in Ordnung hielt, wer sich nicht an die Regeln hielt wurde umgenietet, jeder kannte die Regeln. Manchmal wurden die Leute auch umgenietet, wenn sie die Regeln nicht missachtet hatten."
Stilistisch läutete Martin Scorsese eine neue Ära des modernen amerikanischen Films ein und etablierte sich so zu einen der Großmeister seines Fachs. Selbst im Brooklyn der 50er aufgewachsen wusste Scorsese genau was er tat.
Viele oft kopierte Szenen mit Kultfaktor waren als erstes in Good Fellas zu sehen. Da wären zum Beispiel die Plansequenzen (die langen Kamerafahrten von mehreren Minuten ohne Schnitt) die eher in der ersten Hälfte des Films zu sehen sind. Metaphorisch scheinen diese für Beständigkeit, Dekadenz, und Unantastbarkeit zu stehen. Die Figur Henry Hill steht im Mittelpunkt, ihm gehört die Welt und alles was in ihr drin ist.
Man denke nur an die über dreiminütige Kamerafahrt als Herny und Karen das Restaurant durch den Hintereingang betreten (hier ist übrigens auch kurz der echte Henry Hill zu sehen). Auch der Soundtrack ist hier geprägt von schöner, eingängiger, die Popkultur der Sixites vertretender Musik.
In der zweiten Hälfte weicht dieser Stil eher schnellen Schnitten, Nahaufnahmen von Henrys verschwitzten Gesicht und seiner, durch das Kokain, tellergroßen Pupillen. Die Musik wird schneller, hektischer. Denn die mafiöse Traumwelt, die Vorzüge, die Privilegien weichen der Paranoia, der Sucht, der nackten Angst.
Henry wird "Opfer" seiner Umgebung, des Systems und der höheren Mächte bestehend aus Polizei und FBI. Henry kann niemanden mehr trauen, weiss nicht mehr wer Freund und Feind ist.
"Wenn man zu einer Bande gehört sagt einem niemals jemand dass er dich umbringen will, so läuft das nicht, es gibt keine großen Auseinandersetzungen und Flüche wie im Film, deine Mörder kommen mit einem Lächeln, sie kommen als deine Freunde, als Leute die sich dein ganzes leben lang um dich gekümmert haben und immer dann wenn man ganz unten ist und ihre Hilfe am nötigsten braucht."
Große Ausschweifungen oder Vorgeschichten, ein "Hochbrodeln" im Vorfeld eines Mordes sucht man hier vergeblich, knallhart und fast unspektakulär, jedoch gerade dadurch kaltblütig wirken hier die Hinrichtungen die Jimmy Conway und Tommy DeVito begehen. Ein Job, tägliche Arbeit. Das ist das Gefühl das bei diesen Szenen vorherrscht.
Martin Scorsese hat durch die Mischung von erstklassiger Musik, perfekter Kameraarbeit durch Michael Ballhaus, zu hundert Prozent ausgeschöpften schauspielerischen Potenzials bis in die kleinsten Nebenrollen und vor allem durch den für seine Zeit kompromisslosen Erzählstil ein Meisterwerk geschaffen. Requisiten, Outfit der Schauspieler, Dialoge, alles bis ins letzte Detail aufeinander abgestimmt. Meiner Meinung nach einer der am meist unterschätzten Filme der letzten 25 Jahre. Eine Schande, dass Scorsese mit diesem Film nicht den Regieoscar gewann und noch 16 Jahre darauf warten musste.
Aber wen interessiert schon die Academy.
Martin Scorseses Opus Magnum, der beste Film der 90er Jahre, wenn nicht DER beste Film überhaupt.
Nachruf: Henry Hill verstarb am 14 Juni 2012 unter noch nicht geklärten Umständen