THRILLER: USA, 2014
Regie: David Fincher
Darsteller: Rosamund Pike, Ben Affleck, Scoot McNairy, Neil Patrick Harris
Ausgerechnet an ihrem fünften Hochzeitstag ist Amy Dunne spurlos verschwunden. Nick, ihr Ehemann, weiß nicht, wie ihm geschieht, als die Polizei Blutspuren im gemeinsamen Haus findet und er als Hauptverdächtiger in einem möglichen Mordfall dasteht ...
David Fincher. Der Mann hat ein paar der - wohl nicht nur für meine Wenigkeit - identitätsstiftendsten und wichtigsten Filme aller Zeiten gedreht. FIGHT CLUB, bittesehr, diese wahnwitzige Faustwatsche von einem Film, die mich seinerzeit dermaßen aufgewühlt und verunsichert hat, dass ich ernsthaft begonnen habe, meine damalige Lebensführung nach ersten Anzeichen von Schizophrenie abzuklopfen. SE7EN, dieser irre Serienkiller-Thriller mit dem wahrscheinlich düstersten Finale der jüngeren Filmgeschichte. THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON, der unter der schillernden Fantasy-Oberfläche von durchaus Essentiellem handelt, von der Vergänglichkeit und der Unausweichlichkeit des Todes, aber auch von der Magie des Lebens im Moment. Und selbst THE SOCIAL NETWORK, den viele hassen, konnte ich einges abgewinnen, da er für Hollywood-Verhältnisse sehr ungeschönt von männlicher Verbitterung, Einsamkeit und (sexueller) Frustration erzählt. Wer von Euch davon gänzlich frei ist, werfe den ersten Stein auf David Fincher.
Und nun lässt mich ein Fincher-Film erstmals ratlos und ziemlich enttäuscht zurück. Okay, bitte nicht falsch verstehen: GONE GIRL ist immer noch ein sehr guter, und - wie von David Fincher auch nicht anders zu erwarten - hochprofessionell inszenierter Unterhaltungsfilm: Die unaufdringlichen, aber elegant gestylten Bilder, der reduzierte, aber wirkungsvolle Soundtrack (Trent Reznor!), die grundsätzlich super-spannende Geschichte.
Wie so oft verlässt sich David Fincher auf eine Literaturvorlage - und wie so oft hab ich sie nicht gelesen. In diesem Fall den gleichnamigen Bestseller von Gillian Flynn, die auch das Drehbuch verfasste. Die Dame hat sich sichtlich ausgetobt: Das Drehbuch zu Gone Girl kommt mir vor wie ein Zauberer auf Speed, der im Minutentakt neue Überraschungen aus seinem Hut zieht. Ein Twist jagt den anderen, ein Perspektivenwechsel den nächsten.
Und genau damit beginnt mein Problem: Dieses angestrengte Spiel mit wechselnden Blickwinkeln und konstruierten Twists, es fasziniert mich immer weniger. Es geht mir zunehmend auf die Nerven. Wiewohl man zugeben muss, dass GONE GIRL seine Überraschungen ausgesprochen wirkungsvoll präsentiert. Wir sehen Schlaglichter aus dem Leben eines Paares, das seine glücklichen Zeiten definitiv hinter sich gelassen hat. Das zufällige Kennenlernen, das Gefühl der romantischen Liebe, leidenschaftlicher Sex, gemeinsame Pläne. Das Gefühl, dass gemeinsame Glück etwas Einzigartiges ist. All das war einmal. In der Gegenwart hat sich die Liebe in ihr Gegenteil verkehrt. Das ist - soviel darf verraten werden - blanker Hass.
Anfangs macht es einen staunen, wie brutal der Film am Ideal der romantischen Beziehung rüttelt, wie gnadenlos die Abgründe hinter perfekten Bobo-Pärchen-Oberflächenwelten freigelegt werden. Die beunruhigende Frage, ob man seinen Partner jemals wirklich kennen kann, sie wird äußerst nachdrücklich gestellt.
Doch irgendwann scheint es, als würde der Film vor seiner eigenen Courage zurückschrecken. Und dann geschieht es: Ohne Not schägt David Fincher den ödesten und uninteressanten aller denkbaren Handlungs-Pfade ein: Gefühlt die Hälfte der mit 140 Minuten durchaus stattlich bemessenen Laufzeit ist nämlich einer hysterischen Talkshow-Moderatorin gewidmet. Okay, MEDIENKRITIK, schön und gut, wir haben das Anliegen, das der Drehbuchautorin und ehemaligen Fernsehkritikerin Gillian Flynn offensichtlich glühend unter den Nägeln brannte, verstanden. Nur: David Finchers Talent wirkt für eine überlange Abrechung mit den Methoden des Unterschichtenfernsehens doch ein wenig - nun ja, verschwendet. Der Mann könnte einfach so viel mehr. Und das wird immer weniger spürbar, je länger der Film läuft.
Okay, zugegeben, im letzten Drittel gewinnt GONE GIRL wieder an Biss, das Geschehen spitzt sich zu, radikalisiert sich. Dabei fallen einige schon auch ziemlich lässige Momente ab. Vor allem das blutige Intermezzo mit einem gewissen Neil Patrick Harris (den ich TV-Verweigerer und Serien-Ignorant erst googlen musste), dürfte in Erinnerung bleiben.
Dennoch: Als Ehedrama und Statement zum Zustand von Paarbeziehungen im Hier und Heute taugt der Film nur sehr bedingt.
Aber vielleicht sehe ich das alles zu eng. Vielleicht fehlt mir grumpy old man einfach nur der Humor. Vielleicht merke ich gar nicht, dass GONE GIRL in Wahrheit eine Komödie ist. Behauptet zumindest diese Kritik, die übrigens so klingt, als hätte sie eine Figur aus dem Film verfasst. Nämlich - no offense - der ironisch über den Dingen stehende, sich über alles lustig machende Hipster auf der Party zu Beginn, wo sich Amy und Nick kennen lernten. Oder, um die geschätzte Kollegin Monika zu zitieren: "So viele coole Typen und die Ziege quatscht ausgerechnet Ben Affleck an".
Der neue David Fincher: Böses Ehedrama, twistreicher Thriller, plakative Mediensatire, dunkler Abgesang auf das Ideal der romantischen Zweierbeziehung, möglicherweise auch eine finstere Komödie. Ein bisschen (zu) viel von allem. David Finchers Arbeiten haben schon einmal konzentrierter gewirkt. Aber unterm Strich natürlich immer noch ein souverän inszenierter Unterhaltungsfilm mit vielen (im besten Sinne) irren Momenten.