KONZERT- / DOKUMENTARFILM MIX: USA, 1970
Regie: Albert und David Maysles, Charlotte Zwerin
Darsteller: The Roling Stones, Hells Angels, Meredith Hunter
Am Nikolaustag 1969 wird beim Altamont Free Concert der 18 jährige Meredith Hunter von einem Mitglied der Hells Angels erstochen, als er während dem Auftritt der Rolling Stones einen Revolver zieht. Die Dokumentation begleitet die Stones bei der vorhergehenden US-Tournee und zeigt die heiklen Vorbereitungen für dieses schicksalshafte Gratiskonzert...
Mit ungläubigem Kopfschütteln verfolgen die Stones, die kein halbes Jahr zuvor ihren Gründervater Brian Jones verloren hatten, ein Radiointerview mit Sonny Barger. Der Hell's Angels Führer erläutert seine Sicht auf die Vorfälle am Altamont Speedway. Spaß und Bier habe man den Angels versprochen und zwar dafür auf der Bühne zu sitzen und ein bisschen aufzupassen. Doch diese zugedröhnten Hippies seien aggressiv gewesen, bedroht habe man die Angels und dann auch noch ihre Motoräder getreten. Naturgemäß möchte man davon ausgehen, dass die Angriffslust eher von den Rockern ausging. Wer aggressiv war, wer wen bedroht hat und wer schlussendlich die Schuld an den chaotischen Zuständen trägt - diese Fragen kann und will GIMME SHELTER nicht beantworten. Der Zuschauer soll sich ein eigenes Bild von den Geschehnissen machen. Hierzu werden am Ende des Films eine Menge Originalaufnahmen gezeigt. Man sieht wie der 18 jährige Meredith Hunter von einem Angel erstochen wird, man sieht aber auch, dass er unter Drogeneinfluss steht und eine Pistole in Händen hält...
Die "Dokumentation" der Brüder Albert und David Maysles, und das merkt man, ist eigentlich als Konzert- und Tourneefilm angelegt. Bedingt durch die chaotisch-dramatischen Ereignisse beim Altamont Free Concert wurde in der Postproduktion von Charlotte Zwerin ein dramaturgisches Konzept eingefügt. Der Film funktioniert auf zwei divergierenden Gefühlsebenen: Einer Euphorischen, verbildlicht durch zelebrierte Live-Mittschnitte aus Konzerten der US-Tournee 1969 und den komplizierten aber erfolgreichen Vorbereitungen zu Altamont. Sowie einer Traumatischen, hervorgerufen durch Bilder betrübter Stones, die mit Fassungslosigkeit den Aufnahmen des schicksalshaften Gratiskonzertes folgen.
An dieser Methode wäre eigentlich nichts auszusetzen, wenn es sich dabei nicht um ein verdammt zweischneidiges Schwert handeln würde. Leider kann GIMME SHELTER weder als ernstzunehmender narrativer Dokumentarfilm angesehen werden, noch als reiner Konzertfilm gelten. Einerseits liefert er nicht genügend Hintergrundinformationen, um als Zuseher die Vorgänge in Altamont wirklich verstehen zu können, was aber verdammt wichtig wäre. Andererseits kann man die vielen Live-Mittschnitte kaum genießen, da diese immer wieder durch die erläuternden Elemente unterbrochen werden.
Trotzdem - und das mag jetzt komisch klingen - ist GIMME SHELTER irgendwie ein klasse Film. Vielleicht liegt es an der tollen Kameraarbeit der Maysles Brüder. Die ist nämlich, wie man so schön sagt, ganz großes Kino. Viele Kameras fangen schöne Bilder ein, die Kadrage ist teilweise perfekt und unzählige Kamerabewegungen unterstützen die Wirkung der gezeigten Live-Konzerte enorm. Vielleicht liegt es aber auch an der großartigen Montage. Denn nicht nur Konzertszenen, sondern auch dokumentarisch-narrativen Sequenzen glänzen durch punktiert gesetzte Schnitte und fabelhaft montierte Bilder. Vielleicht liegt es aber auch ganz einfach daran, dass man bei einem Zweischneidigen Schwert eben den Vorteil hat, die schärfere Klingeseite wählen zu können.
Damit dann auch dieser Fakt noch Erwähnung findet: Live-Aufnahmen von Ike and Tina Turner, Jefferson Airplane und den Flying Burrito Brothers sieht man auch nicht alle Tage.
Wer sich zurücklehnen und ein Rolling Stones Konzert genießen will, der wird von GIMME SHELTER nur bedingt zufriedengestellt. Ebenso enttäuscht wird man, wenn man sich eine Dokumentation zu den Vorfällen beim Altamont Free Concert erhofft und dabei noch etwas über den Niedergang der Hippie-Kultur erfahren will. Richtige Freude mit dem Film haben aber all diejenigen, die auf gute Kamera- und Regiearbeit stehen, sich einen Überblick über das Stones-Jahr 1969 verschaffen wollen und den Film als Ausgangspunkt für weitere Recherchen nutzen. Prädikat: Jedenfalls sehenswert!