CRIME: UK, 1971
Regie: Mike Hodges
Darsteller: Michael Caine, Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne
Gangster Jack Carter verlässt sein gewohntes Arbeitsumfeld London Richtung Newcastle in Nordengland. Die Beerdigung von Bruders Frank ist der Grund seiner Reise. In seiner ehemaligen Heimatstadt angekommen stellt er fest, dass der angebliche Unfalltod Franks keiner war, sondern die lokale Unterwelt ihre Finger im Spiel hatte. Kompromisslos und zielstrebig beginnt Carter einen brutalen Rachefeldzug.
1971 war ein stilbildendes Jahr im britischen Filmschaffen. Stanley Kubricks gesellschaftskritischer und saubrutaler Uhrwerk Orange verstörte nachhaltig das Kinopublikum, fast zeitgleich griff Dustin Hoffman in Sam Peckinpahs ebenfalls in England gedrehtem Meisterwerk Straw Dogs beherzt zur Selbstjustiz.
Beide Filme zeigten ein bis dato im Kino nie gesehenes, undenkbares Ausmaß an Detailfreudigkeit hinsichtlich physischer Gewaltdarstellungen mit all ihrer blutigen Konsequenz und trugen den Regisseuren harsche Kritik und nachhaltige Probleme mit den Zensurbehörden ein. Die erste öffentliche Grundsatzdiskussion über die Zumutbarkeit von Gewalt im Film war somit losgetreten.
Perfekt ergänzt und zum Triumvirat erhoben wurden diese beiden Werke durch das ebenfalls 1971 entstandene Gangsterdrama GET CARTER des britischen Regisseurs Mike Hodges.
Die dem Film zugrunde liegende Rachestory ist relativ simpel gestrickt und war schon damals nicht mehr wirklich neu. Doch - auch ein einfaches Gericht kann zur Delikatesse werden, wenn beste Zutaten verwendet werden - und genau das geschah im Falle von GET CARTER.
Was auch immer man von Michael Caine als Darsteller halten mag, niemand kommt umhin festzustellen, dass Jack Carter eine der, wenn nicht sogar DIE Rolle seines Lebens war. Wie er der Figur des eiskalten, berechnenden, dabei aber im Kern total psychotischen Killers mit ganz kleinen darstellerischen Nuancen ein Gesicht und eine beunruhigende, intensive Präsenz verleiht, ist nichts anderes als oscarwürdig. Dabei hat er ständig einen zynischen Spruch parat, wie desaströs die Situation auch sein mag.
Einge von Carters coolen One-Linern sind in den englischen Alltags-Sprachgebrauch übergegangen, die knappen Wortwechsel mit seinen Widersachern strotzen nur so vor sublimer Aggression und bösartigstem Witz.
"What you're doing up here, Jack?" - "Visiting relatives."
"Oh, thats nice." - "It would be, if they still were alive."
Oder, etwas später:
"You know, Eric - I've almost forgotten what your eyes look like. They're still the same - pissholes in the snow."
Das absolut abgebrühte Spiel von Caine wird solide unterstützt durch eine ganze Reihe von bewährten britischen Charakterdarstellern. Als Gangsterliebchen auf Abwegen dekoriert die bezaubernde Britt Ekland die Szenerie.
Womit wir nun beim zweiten großen Plus wären, das GET CARTER zu einem Werk für die Ewigkeit macht: Mike Hodges und der aus Österreich stammende Kameramann Wolfgang Suschitzky schaffen eine unglaublich dichte und düstere Atmosphäre und zeigen Newcastle als heruntergekommenen, kalten und abweisenden Ort. Dieser Film hat den Fremdenverkehrs-Beauftragten der Stadt vermutlich in den Suizid getrieben. Qualmende Fabrikschlote, desolate Arbeitersiedlungen mit dreckigen Hinterhöfen, billige Absteigen, dunkel-verrauchte, holzgetäfelte Pubs in denen knorrige Locals schweigend ihr Guiness leeren - alles ist authentisch. Die zahlreichen, sorgfältig in Szene gesetzten Locations zeichnen ein intensives Bild Newcastles in den Siebzigern und fungieren somit als perfekte Zeitkapsel.
Mit Gewalt wird, wie eingangs erwähnt, nicht gegeizt. Ausgedehnte Ballerorgien sucht man vergebens, die Brutalität wirkt dafür aber absolut realistisch dargestellt und Carters mitleidsloses und moralfreies Vorgehen gegen seine Feinde sucht seinesgleichen. Da fällt schon mal ein Mann vom Parkhaus - mitten auf ein vollbesetztes Familienauto, Kinder inklusive. Da wird ein wehrloser, um Gnade bettelnder Gauner im Hinterhof brutal abgestochen und ertrinkt eine Frau elend im Kofferraum eines im Fluß Tyne versenkten Autos. Der Tod kann sehr hässlich sein und Regisseur Hodges zeigt ihn auch so.
Der spärliche aber genial eingängige Soundtrack von Roy Budd unterstützt die grimmige und deprimierende Atmosphäre des Films kongenial. Schon die von der Titelmelodie untermalte Bahnreise Carters nach Newcastle ist eine Charakterstudie für sich.
Garantiert kein Partyfilm, sondern beinhartes Gangsterkino. Ein Film, den ein Kritiker des "Observer" mit den legendären Worten beschrieb: "GET CARTER is like drinking a bottle of Gin before breakfast."
Ach ja, und wer es wagen sollte, mich auf das "Remake" mit Silvester Stallone anzusprechen, den werfe ich eigenhändig vom Parkdeck im 11. Stock!
DIE Ikone des Brit-Crime-Films.
Für Genrefreunde absolute Pflicht!