OT: Faces
DRAMA: USA, 1968
Regie: John Cassavetes
Darsteller: John Marley, Gena Rowlands, Lynn Carlin, Fred Draper, Seymour Cassel
Die Ehe von Richard (John Marley) und seiner Frau Maria (Lynn Carlin) liegt in Trümmern. Da alternde Ehepaar versucht auf verschiedene Weise aus dieser Situation zu fliehen. Während Richard eine Liason mit einem Callgirl (Gena Rowlands) eingeht, lässt sich Maria von dem Gigolo Chet (Seymour Cassel) verführen ...
FACES war bereits John Cassavetes vierter Spielfilm, jedoch erst sein zweiter Film nach SHADOWS (1959), den der Regisseur nach seinen eigenen Vorstellungen verwirklichen konnte. Dazwischen hatte er mit TOO LATE BLUES (1961) und A CHILD IS WAITING (1962) zwei Hollywoodfilme gedreht, die für ihn zu einer großen Enttäuschung wurden. Der von 1964 bis 1968 entstandene FACES markiert Cassavetes´ Rückkehr zum Independentfilm, den er mit seinem Debüt SHADOWS zumindest in den USA überhaupt erst geschaffen hatte.
FACES ist erneut ein Schwarzweißfilm geworden, dem man zudem sein grobes Filmmaterial sehr deutlich ansieht. Die ursprüngliche achtstündige Fassung wurde nach einer desaströsen Testvorführung auf gut zwei Stunden zusammengekürzt. Das Ergebnis war nicht nur ein großer künstlerischer, sondern erstaunlicherweise mit über 6 Millionen in den USA eingespielten Dollars auch ein unerwarteter finanzieller Erfolg.
FACES ist auch ein sehr treffender Titel für dieses nicht nur für seine Zeit sehr ungewöhnliche Werk. Denn GESICHTER sind es immer wieder, welche dieser Film in extremen Close-Ups dem Betrachter nahebringt. Insbesondere ein Gesicht wird in diesem Film zelebriert: Gena Rowlands, Cassavtes´ Ehefrau, wird in FACES geradezu ikonenhaft stilisiert. Und es ist nicht nur die Kamera, die den Protagonisten sehr eng auf den Leib rückt. FACES wirkt wie ein einziger Seelenstriptease, bei dem alle Beteiligten am Ende vollkommen nackt vor uns stehen.
Denn noch mehr als bereits SHADOWS ist FACES bereits ein hundertprozentiger John Cassavetes-Film: Die nur rudimentäre Handlung dient lediglich als ein loses Gerüst. Was den Regisseur hingegen wirklich interessiert, ist die Darstellung der einzelnen Charaktere. Wie alle Cassavetes-Filme, ist auch FACES ein echter Schauspielerfilm, in dem sich die Protagonisten in all ihrer Unvollkommenheit und Widersprüchlichkeit vor uns entblößen. Mit wirklich allen Mitteln trieb Cassavetes die Schauspieler zu teilweise schier unglaublichen Höchstleistungen an. Die Grenze zum puren Overacting wird dabei oftmals hart geschrammt und zum Teil auch überschritten. Aber das Ergebnis ist trotzdem niemals lächerlich, auch wenn die Menschen gerade lächerlich erscheinen. Denn hier vermittelt sich etwas, was man zumindest aus Hollywoodfilmen in der Regel nicht kennt: Wahrhaftigkeit.
FACES war John Cassavtes zweiter Independentfilm, der sowohl den künstlerischen, als auch den kommerziellen Durchbruch des Regisseurs markiert. Zwei Stunden lang sind wir live dabei, wie eine Handvoll Durchschnittsmenschen sich gegenseitig anbrüllen oder auch einfach nur dumme Faxen machen. Die unglaubliche Intensität der einzelnen Performances, die nicht selten in den Bereich des Overactings hinübergleiten, sorgt dafür, dass in diesem Film trotz einer nur rudimentären Handlung auch bei einer Laufzeit von über zwei Stunden kaum Langeweile aufkommt.