SOZIALPORNO (?): INDIEN, 2010
Regie: Q (=Kaushik Mukherjee)
Darsteller: Anubrata Basu, Joyraj Bhattacharya, Rii
Das Leben meint es nicht gut mit dem 20-Jährigen, den alle nur Gandu (="Arschloch" oder "Wichser") nennen: Er wohnt arbeits -und ambitionslos bei seiner Mutter, die sich für Wohnung und Essen prostituieren muss. Gandus Frustration und Wut wächst jeden Tag. Einziger Fluchtpunkt in Gandus tristem Alltag bilden derbe Rap-Lyrics. Eines Tages lernt er einen Rischka-Fahrer mit ungesunder Bruce Lee-Obsession und noch ungesünderem Drogenkonsumverhalten kennen. Nach einem ausgedehnten Crack-Rausch erwachen Gandu und Rischka unter einem riesigen Baum. Verwundert reibt er sich die Augen und kann kaum glauben, dass sich sexuell und rapperkarrieretechnisch quasi über Nacht der große Erfolg eingestellt hat ...
Wenn unsere Freunde vom DVD-Label BILDSTÖRUNG einen indischen Film veröffentlichen, darf alles erwartet werden - außer konventioneller Bollywood-Ware. Tatsächlich hat GANDU mit den gewohnten - und auf dieser Seite bisweilen durchaus positiv aufgenommen Hervorbringungen der indischen Filmindustrie so viel gemein wie - sagen wir - EX DRUMMER mit DIRTY DANCING.
GANDU ist eine einzige Kampfansage an Bollywood-Konventionen, ein wütender, dreckiger, rauer, obszöner und derber Bastard aus Sozialdrama, Musik- und Experimentalfilm.
Während das gutbürgerliche Arthousekino Slum-Elend in entfernten Weltgegenden stets in einer schillernden Hochglanz-Ästhetik erstrahlen lässt - hallo CITY OF GOD, lang nimmer gesehen, SLUMDOG MILLIONAIRE, entgeht GANDU dieser Klischeefalle schon durch die Wahl des Filmmaterials: GANDU wurde nämlich (größtenteils) in Schwarz-Weiß gedreht.
Erst gegen Ende des Films krachen die Farben rein - und wie ... aber seht selbst. Filmisch regiert das konzeptionelle Chaos: Rasende Schnitte wechseln sich mit ruhigen Passagen, Split-Screens und Gaspar Noe-artige Typographie-Spielchen sorgen für Kurzweil, während die Musik - eine ziemlich mitreißende Mixtur aus räudigem Garagenpunk, Rap und HipHop - die Geschichte vorantreibt und als begleitende Erzählerstimme fungiert.
Dem Regisseur mit dem knackigen Namen Q dürfte im Laufe der Dreharbeiten gedämmert sein, dass sein Film nie und nimmer das OK der rigiden indischen Zensurbehörden bekommen würde. Die Schimpfwörter klingen angemessen böse authentisch, der Sex vor der Kamera ist echt, der Drogenkonsum vermutlich auch: Laut DVD-Booklet sind in den obligatorischen Danksagungen am Ende der Credits auch die Namen der zuverlässigen lokalen Drogendealer zu lesen, die sich während der Dreharbeiten um das psychoaktive "Catering" kümmerten.
Bildstörung goes Bollywood - na ja, sort of. GANDU bedeutet übersetzt "Wichser" und macht seinem Filmtitel alle Ehre: Ein Sozialdrama zwischen Pop, Porno und Provokation, das in seinem Herkunftsland nicht einmal auf Filmfestivals aufgeführt werden konnte. Die DVD von Bildstörung ist selbstredend ungekürzt. Ein umfangreiches Booklet und eine Soundtrack-CD (limitiert) runden diesen Pflichtkauf für Freunde des extremen Weltkinos ab.