ACTION: AUS, 2024
Regie: George Miller
Darsteller: Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Tom Burke, Lachy Hulme
Wie Furiosa zu Imperator Furiosa wurde ...
Eine brachiale Materialschlacht. Kinetik als Kunstform. Praktisch jede einzelne Einstellung ist ikonisch; die Bildgewalt dieses unfassbaren Actionfilm-Kunstwerks lässt das Arthouse-Kino unserer Tage aber so was von alt aussehen. Und immer dann, wenn man meint, so, jetzt ist der Gipfel an Intensität erreicht, setzt George Miller prompt noch eins drauf.
Diese Zeilen habe ich Anno 2015 über FURY ROAD geschrieben, und auch nach x Neu-Sichtungen steht dieses Urteil felsenfest. Über FURIOSA hingegen musste ich länger nachdenken, was nicht immer ein gutes Zeichen ist.
"Hast du das Zeug dafür, dass es episch wird?", fragt Chris Hemsworth (mit falscher Nase und Rob-Zombie-Zauselbart kaum zu erkennen) einmal im Film. Die Frage ist wohl an George Miller selbst gerichtet: Ja, das hat er zweifellos. Ein episches Werk? Das ist FURIOSA wohl. Aber ist das wirklich das, was man sich von einem Mad-Max-Film erwartet?
FURY ROAD hat innerhalb von 3 Tagen gespielt. FURIOSA umspannt 15 Jahre (davon einen 40-Tage-Krieg in einem Nebensatz). Irgendwie geht es hier mehr um fast schon Marvel-artiges "World Building", um Mythologie als um das, was man mit Mad Mad gemeinhin assoziiert: Wahnwitzige, auf die pure Substanz reduzierte Action nämlich. FURY ROAD hat diesbezüglich bekanntlich alles richtig gemacht. Und bei aller technischer Perfektion hatte dieser Film noch die räudige Exploitation-DNA von MAD MAX (1979) und THE ROAD WARRIOR (1981) in den Knochen. FURIOSA ähnelt in dieser Hinsicht eher BEYOND THUNDERDOME (1985): Das Prequel will etwas "Erhabeneres" sein als ein simpler "Crash-and-Burn"-Actionreißer - und bremst sich mit der episodenhaften Erzählweise immer wieder selbst aus.
Gut, diese erzählerisch ausufernde Prequelitis ist ein Symptom der heutigen Franchise-Kulur, mit dem man einfach leben muss. Schwerer wiegt, dass der Film leider auch in seiner Kernkompetenz - den Actionsequenzen - nicht restlos überzeugt. Und das liegt jetzt nicht an der kuriosen Trivia, dass Anya Taylor-Joy gar keinen Führerschein hat, wie man auf der IMDB erfährt.
Das Problem ist eher: Den immer grotesker aufgemotzten Fantasy-Vehikeln sieht man die Herkunft von der Festplatte leider allzu deutlich an. Manche Szenen wirken zu klinisch, zu künstlich, zu artifiziell, irgendwie nicht rund. Okay, schon FURY ROAD hat massig CGI eingesetzt, aber auf eine innovative Weise, bei der fotorealistische digitalen Bildelemente in die Originalaufnahmen hineinmontiert wurden. FURY ROAD war das seltene Beispiel eines Films, bei dem CGI den Film tatsächlich visuell aufwerten. Bei FURIOSA ist das Gegenteil der Fall: Hier ist einfach alles too much. Anscheinend war es eine bewusste Entscheidung, die Action auf ein jüngeres, Videogame-konditioniertes Publikum hinzutrimmen - mit dem Risiko, Mad-Max-Fans der ersten Stunde vor den Kopf zu stoßen. Blöd nur, dass die Jungen keinen Chris Hemsworth mit hässlichem Zauselbart sehen wollen und in Massen fernblieben. FURIOSA dürfte sich zum finanzielles Desaster entwickeln. Leider, muss man sagen.
Weil der Film ja seine Momente hat. Atemlos machende große Momente, um genau zu sein. Gleich zum Einstieg liefert George Miller, inzwischen 79 Jahre alt, eine ausufernde Actionsequenz mit Motorrädern, einem Scharfschützengewehr und der kleinen Furiosa, die sich mit vollem Körpereinsatz gegen marodierende Biker wehrt. Diese Verfolgungsjagd ist nur der Auftakt zu einer Fülle an exzessiven Benzinverbrennungsorgien im Wüstensand, bei der Miller einmal mehr visuelle Maßstäbe setzen will. Und an seinen übergroßen Ambitionen nur scheitern kann.
Ich will aber niemanden den Kinobesuch madig machen. Auch wenn mein ausuferndes Gesuder hier möglicherweise anderes vermuten lässt: FURIOSA ist immer noch ein toller Film. Sicherlich nicht der beste Teil der Reihe, aber definitiv noch Gold-Standard im Action-Fach. Der Vergleich mit den schrottigen Trailern vorher (BAD BOYS 4, WTF?) macht Sie sicher.
Ein paar lose Gedankensplitter zum Film möchte ich noch anbringen. Es gibt da eine durchaus memorable Szene, in der ein Mensch zu lebendem Baum-Dünger wird, weil ein Apfelbaum aus seinem Bauch heraus wächst. (ich sag jetzt nicht dazu, welcher Charakter, sonst wär's ein grober Spoiler :-).
Bei dieser Szene ist mir lustigerweise das Buch "So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen" des deutschen Populärwissenschaftsautors Hoimar von Ditfurth eingefallen. Ich hab das Buch nie gelesen, ich weiß nur, dass es in meiner Kindheit ein Bestseller war. Mein Vater hatte, wenn ich mich recht erinnere, auch ein Exemplar im Regal stehen. Ich beginne zu googeln - und siehe dar, das Buch beginnt mit dem Satz:
"Endzeit? es steht nicht gut um uns. [...] Einige Menschenmilliarden verhungern, verrecken an Seuchen oder müssten in den unvermeidlichen, auch nuklear geführten finalen Verteilungskriegen um die letzten Trinkwasserreserven oder die letzten landwirtschaftlich noch nutzbaren Böden umkommen." Man kann wohl behaupten, dass sich hier der Gedankenassoziationskreis zu Mad Max sehr schön schließt. Ich gehe mal davon aus, dass George Miller das Buch auch gelesen hat. Hoimar von Ditfurth hat die unvermeidliche Apokalypse übrigens auf zwei Generationen in die Zukunft datiert - also auf jetzt.
In diesem Sinne: "Ladies and Gentlemen! Start your engines!"
Chris Hemsworth darf nicht Rob Zombie werden. George Miller darf nicht George Lucas werden. Aber Anya Taylor-Joy darf gerne Charlize Theron werden. FURIOSA ist immer noch ein fettes Brett von einem Actionfilm, aber die restlose Begeisterung wie bei FURY ROAD will sich nicht einstellen.