DOKUMENTARFILM: USA, 2018
Regie: Jimmy Chin, Elizabeth Chai Vasarhelyi
Darsteller: Alex Honnold
Der Anfang 30-jährige Freikletterer Alex Honnold sucht eine Herausforderung nach der anderen. Sein großer Traum ist es, den 1000 Meter hohen Granitfelsen El Capitan im kalifornischen Yosemite Nationalpark ohne Absicherung oder andere technische Hilfsmittel hinaufzuklettern. Ein einziger Fehltritt bedeutet seinen sicheren Tod - ein Risiko, auf das ihn Familie und Freunde immer wieder aufmerksam machen. Trotz der Gefahr macht sich der Profibergsteiger auf den Weg. Der Film portraitiert einen echten Ausnahmemenschen und zeigt neben der gefährlichen Kletterpartie auch die Ängste seiner Mitmenschen, denen er sich stellen muss.
Viele erinnern sich vielleicht an die alte Maslowsche Bedürfnispyramide, die damals immer mal wieder im Wirtschafts- und Soziologieunterricht auftauchte. Schaut man sich die Hierarchie genau an, findet man ganz unten die "physiologischen Bedürfnisse" gefolgt vom "Bedürfnis nach Sicherheit". Wir Menschen sehnen uns nach körperlichem Wohlbefinden und Sicherheit und gehen jedem Risiko aus dem Weg, das diese auch nur annähernd gefährden könnte. Ab und zu hört man jedoch von Menschen, die sich absichtlich in Lebensgefahr begeben. Zu diesen gehören auch Freikletterer, die ohne jegliche Absicherung steile Felsformationen bezwängen. Jede Bewegung muss sitzen, damit die Extremsportler nicht in ihren sicheren Tod stürzen. Ganz schön lebensmüde, oder?
Wer solche Menschen einfach nicht verstehen kann und für verrückt erklärt, sollte sich den Dokumentarfilm "Free Solo" ansehen. Meine Einstellung zu Freikletterern konnte die Doku nämlich auf jeden Fall verändern. Denn das strategische Talent und die Konzentration, die Alex Honnold an den Tag legt, kann auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden und wirklich inspirieren. Aber was ist an dem Freikletterer so faszinierend?
Alex Honnold ist ein Eigenbrötler. Er wirkt introvertiert, selbstbestimmt und stur. Klettern ist sein Leben und eine Aktivität, die er mit Glück, Freiheit und Perfektion verbindet. Während für die meisten Menschen ein schönes Haus, ein toller Job und eine funktionierende Liebesbeziehung für ein ausgeglichenes Leben sorgen, findet Honnold nur im Klettern die volle Erfüllung. Er lebt in einem spartanisch eingerichteten Van, isst seine Bohnen direkt aus der Pfanne und besitzt nur ein paar T-Shirts, die er ab und zu wechselt. In Interviews ist er unkompliziert, direkt und ehrlich - die Selbstdarstellung liegt ihm fern.
Eigentlich ein Wunder, dass er mit einer Filmcrew zusammenarbeitet, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. Zum Glück: Denn das, was Honnold vorhat, verdient ein großes Maß an Aufmerksamkeit. Als erster Kletterer der Welt will er die 1000 Meter hohe und extrem steile Wand des berühmten El Capitans in Kalifornien hinaufklettern. Der Clou: Honnold ist völlig ungesichert und riskiert dabei sein Leben.
Natürlich bedarf ein solch waghalsiges Unterfangen jede Menge Planung. Zusammen mit seinen engsten Freunden, die sich auch dem Klettern verschrieben haben, macht sich Honnold auf den Weg in den Yosemite Nationalpark. Die Route klettert er zunächst gesichert ab und muss dabei feststellen, dass sie viele scheinbar unüberwindbare Tücken birgt. Nicht nur einmal muss er aufgeben und kehrt völlig resigniert an den Boden zurück. Dazu kommt, dass er immer noch mit den Folgen einer Kletterverletzung zu kämpfen hat. Zuschauer, die sich nicht mit dem Klettern auskennen erhalten einen tiefen Einblick in die Welt des Kletterns.
Die Route wird auf anschaulichste Art visualisiert und die einzelnen Problemstellen genau erklärt. Immer wieder wird dem Laien klar, welchen Herausforderungen sich Honnolds Körper und Geist stellen muss. Die große Kletterpartie, die gegen Ende der Doku gezeigt wird, bringt einen wirklich ins Schwitzen. Dies macht "Free Solo" um einiges spannender als so manch ein fiktiver Abenteuerfilm. Während Honnold zu Anfang gerade in Bezug auf die Ängste seiner Freundin egoistisch rüberkommt, ist dem Zuschauer am Ende klar: Das Glück, das er beim Freiklettern empfindet, kann durch nichts auf der Welt ersetzt werden. Ähnlich wie die Regisseure der Doku BORN TO SKATE gelingt es Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi in "Free Solo" dieses Glücksgefühl einzufangen.
FREE SOLO ist wirklich sehenswert. Nicht umsonst gewann der Film bei der Oscarverleihung 2019 den Titel "Bester Dokumentarfilm". Alle, die ein bisschen abenteuerlustig sind und mehr über die Psyche eines Freikletterers erfahren möchten, werden sich vor lauter Spannung nicht vom Bildschirm lösen können. Zudem punktet der Film malerische und atemberaubende Naturaufnahmen.
FREE SOLO ist beim Independent-Filmveleih Capelight auf DVD/Blu-ray erschienen.