DRAMA: GROßBRITANNIEN, 2009
Regie: Oliver Hirschbiegel
Darsteller: Mark David, Liam Neeson, Kevin O'Neill, James Nesbitt
Vor 33 Jahren hat der nordirische Protestant Alistair Little (Liam Neeson) den Bruder des Katholiken Joe Griffin (James Nesbitt) erschossen. Nun sollen sich die beiden im Rahmen der TV-Show "Truth and Reconciliation" - "Wahrheit und Aussöhnung" erstmals wieder begegnen. Doch Joe denkt nicht im Traum an Versöhnung, sondern sinnt auf Rache ...
FIVE MINUTES OF HEAVEN ist gleich in mehrerer Hinsicht ein ungewöhnlicher Film. Zunächst einmal handelt es sich hierbei um ein prinzipiell rein britisches Drama, bei dem allerdings der Deutsche Oliver Hirschbiegel Regie geführt hat, das den Nordirlandkonflikt behandelt. Mit den beiden Hauptdarstellern Liam Neeson (CHLOE) und James Nesbitt (BLOODY SUNDAY) konnten zwei der renommiertesten irischen Akteure verpflichtet werden.
Auch das Drehbuch stammt von einem Iren: Guy Hibbert. Der hatte die wahre Geschichte dieses im Jahre 1975 stattgefundenen Mordes recherchiert und mit den beiden gleichnamigen wahren Alistair Little und Joe Griffin gesprochen. Allerdings haben sich die beiden bis heute in Wirklichkeit nie wieder getroffen. Folglich verbindet FIVE MINUTES OF HEAVEN eine fast dokumentarisch anmutende Backstory mit einer fiktiven Handlung in der Gegenwart.
Wenn ich hier von einem "fast dokumentarischen" Eindruck spreche, so meine ich damit nicht, dass Oliver Hirschbiegel die damaligen Ereignisse mit einer verwackelten Digitalkamera aufgenommen hat, um eine (inzwischen bereits sehr abgenützte) Aura von Authentizität zu erzeugen. Ganz im Gegenteil: Wie der Regisseur selbst im Interview der nun bei Koch erschienen DVD dieses Film betont, hält er von solchen technischen Kunstgriffen zur Vermittlung eines Gefühls von "Vergangenheit" reichlich wenig. Denn "die Sonne die im Jahre 1975 schien, war die gleiche Sonne, die auch heute scheint".
So sieht die Vergangenheit in diesem Film, von Dingen wie der damaligen Kleidung und den Autos einmal abgesehen, auch nicht anders aus, als die späteren zwei Drittel in der Gegenwart. Doch trotzdem war es gerade dieser abgegriffene Begriff von Authentizität, der mir von der ersten Minute an immer wieder in den Sinn kam.
Dieses Gefühl wird durch scheinbar unbedeutende Details vermittelt. So kramt der jugendliche Attentäter seine Waffe aus einer Kiste mit Kinderspielzeug hervor und post anschließend erst einmal ein wenig vor dem Spiegel, um zu sehen, wie er sich am coolsten die Wumme aus der Hose ziehen kann.
Im reinen Coolsein liegt auch seine eigentliche Motivation für die Tat. Denn ihm ist bereits vor dem Mord bekannt, dass der Katholik, den er beseitigen soll, sowieso vorhatte, den Ort zu verlassen. Sein Kommentar dazu gegenüber seinen an der Tat beteiligten Freunden: "Dann hat er eben einfach Pech gehabt!" Hauptsache sie können anschließend als obercoole "Dreimetermänner" in der heimischen Provinzdisco aufkreuzen ...
Auf der anderen Seite sind diese harten Jungs jedoch auch so uncool, das für die Tat geklaute Fahrzeug kurz nach dem Start wieder abzuwürgen. Und als ein patroullierender Panzer vor ihnen auf der Straße auftaucht, bekommen sie es dermaßen mit der Angst zu tun, dass sie die ganze Aktion schon fast wieder abblasen wollen.
Jedenfalls hat man vom ersten Augenblick an stets das Gefühl, dass sich die Dinge genau so, und nicht anders zugetragen haben werden. Und es sind genau diese Feinheiten, die neben dem hervorragenden Spiel der jugendlichen Darsteller dafür sorgen, dass hier ein "Real-Life-Feeling" aufkommt, wie man es in keinem glattgebügelten Hollywoodfilm (mit ähnlicher Thematik) finden wird.
FIVE MINUTES OF HEAVEN ist als ein klassischer Dreiakter angelegt. Und nachdem die vergangenen Ereignisse in der ersten halben Stunde in Echtzeit minutiös rekonstruiert wurden, spielt die weitere Handlung in der (fiktiven) Gegenwart. Dabei wechselt der Film mehrere Male ganz radikal die Gangart und schlägt dabei auch so manchen unerwarteten Haken.
War der erste Teil noch ein leicht thrillermäßiges Dokudrama, so entpuppt sich der Mittelteil sehr bald als eine recht ätzende Mediensatire. Und im finalen Akt steuert der Film dann wieder auf einen ebenfalls recht thrillermäßigen Showdown zu. Doch auch hier hält der Drehbuchautor Guy Hibbert noch so manche Überraschung parat ...
FIVE MINUTES OF HEAVEN ist ein sehr gewagter Film, bei dem alle Beteiligten ein hohes Risiko eingegangen sind. Denn sehr leicht hätte dieses Drama an vielen Stellen kippen können: in grobe Exploitation, in kitschige Sentimentalität, oder auch ganz einfach in reine Lächerlichkeit. Dass der Film trotzdem zu jeder Zeit bestens funktioniert, liegt jedoch nur zum Teil an dem ausgeklügelten Drehbuch und an Oliver Hirschbiegels hervorragender Regie.
Es sind insbesondere die beiden Hauptdarsteller Liam Neeson und James Nesbitt, die ihre äußerst fordernden Rollen mit Bravour meistern. Dabei neigt allerdings Nesbitt immer mal wieder zum reinen Overacting. Doch selbst dies passt meist sehr gut, da der von ihm verkörperte Joe Griffin auch als extrem emotionaler Typ angelegt ist. Der von Liam Neeson gespielte Alistair Little bildet hier auch vom Temperament her einen klaren Gegenpol.
Und gerade Neeson hat mich in diesem Film extrem beeindruckt. Denn sein Part als "vom Saulus zum Paulus" bekehrter Neu-Gutmensch hätte sehr leicht das ganze Projekt in einen tiefen, vor Kitsch triefenden Abgrund ziehen können. Stattdessen verkörpert Neeson jedoch auf vollkommen überzeugende Weise einen Täter, dessen Leben durch seine damalige Tat ähnlich nachhaltig geschädigt, wie die des Opfers ist. Und so nimmt man es diesem Alistair Little auch tatsächlich ab, dass dieser sehr weit zu gehen bereit ist, um endlich wieder seinen inneren Frieden zu finden ...
Ich bin ja kein großer Freund von Feststellungen, dass ein bestimmter Film ein besonders "wichtiger" Film sei. Aber im Falle des um den Nordirlandkonflikt kreisenden Dramas FIVE MINUTES OF HEAVEN möchte ich da einmal eine Ausnahme machen. Denn wie hier anhand weniger konkreter Einzelschicksale gezeigt wird, wie nachhaltig solche (Bürger-)Kriege auch nach ihrem vermeintlichen Ende, tiefe Wunden bei den ehemals Beteiligten hinterlassen, das ist hier einfach außergewöhnlich eindrücklich dargestellt. Und darüber hinaus sucht der Film auch noch nach realistisch anmutenden Lösungsversuchen und vermeidet dabei jede Art von gefühlsduseligen Kitsch.